Transporter fahren ist für den Neuling nicht so ganz einfach, zumindest wenn es gewerbliche für den Gütertransport sind. Denn hinter einem befindet sich dann meist eine glatte Blechwand. Wer gewohnheitsmäßig vor dem Losfahren noch einen Blick in den Innenspiegel wirft, guckt ins Leere – es sei denn, es gibt einen kamerabasierten Rückspiegel. So ähnlich ist es auch beim Polestar 4. Wir haben das neue Coupé-SUV getestet.

Ich war nicht der erste, der einen Polestar 4 gefahren hat, und da ich einige Testberichte gelesen habe, war ich auf die fehlende Heckscheibe vorbereitet. Die beiden Kollegen empfanden dies als den Hauptnachteil. Aber Tests haben immer etwas Subjektives an sich, deswegen fuhr ich wie immer ergebnisoffen zu dem Event in Bad Tölz.

Schnelle Daten  Polestar 4 Long Range Single Motor
Motoren 1 Permanentmagnet-Synchronmotor
Systemleistung / Drehmoment 200 kW / 910 Nm
0-100 km/h / Höchstgeschwindigkeit 7,1 Sekunden / 200 km/h
WLTP-Verbrauch 17,8-18,1 kWh/100 km
Batterie 100 kWh brutto / ca. 94 kWh netto
Reichweite 620 km
Ladeleistung / Ladedauer bis 200 kW mit DC / 30 Minuten (10-80%)
Länge / Höhe 4,84 m / 1,53 m
Preis 57.900 Euro

Exterieur | Interieur | Antrieb & AkkuPreise & Konkurrenz | Fazit


Zuerst zur Einordnung: Bei Polestar entspricht die Nummerierung der Modelle der Reihenfolge ihres Marktstarts. Der Polestar 1, ein superschickes Plug-in-Hybrid-Coupé, ist längst ausgelaufen, der Polestar 2 war lange Zeit das einzige Modell der Marke. Nun kommen Polestar 3 und 4 fast gleichzeitig auf den Markt. Das liegt daran, dass sich der große 3er um ein Jahr verspätet hat. Aber immerhin: Der Polestar 3 wird seit Juli ausgeliefert und damit ein klein wenig vor dem Polestar 4, der erst im August startete.

Exterieur und Rundumsicht

Als ich kürzlich den Polstar-Space in der Münchner Innenstadt besuchte, konnte ich optisch keinen eindeutigen Größenunterschied zwischen den beiden Autos feststellen. Doch der Polestar 4 ist immerhin sechs Zentimeter kürzer als der 3er und vor allem acht Zentimeter niedriger. Er sieht außerdem coupéhafter aus und dann eben noch dieses geschlossene Heck ...

Warum Polestar die Heckscheibe weggelassen hat? Nun, erstens sähe man bei vielen Coupé-SUVs mit niedriger Dachlinie hinten sowieso nicht richtig raus. sagt man mir. Das stimmt, aber auch der beim gleichen Event gefahrene Polestar 3 ist coupéartig, und da ist die Sicht nach hinten gut. Allerdings ist der große Bruder halt auch acht Zentimeter höher. Letztendlich dürfte das Ganze eine Designentscheidung sein: Die niedrige, coupéhafte Dachlinie war Polestar wichtiger, als dass man hinten gut raussieht. 

Polestar 4: Eingeschränkte Rundumsicht beim Blick vom Fahrersitz nach schräg hinten

Eingeschränkte Rundumsicht im Polestar 4

Der kamerabasierte Innenspiegel vom Spezialisten Gentex ist nicht schlecht: Die Kamera lässt sich in Blickrichtung und Helligkeit einstellen, zudem kann man auf einen konventionellen Spiegel umschalten, wenn man die Kinder im Fond im Blick behalten will. Ein perfekter Ersatz für einen normalen Spiegel und eine Heckscheibe ist das Ding aber nicht. So spiegelt er bei sonnigem Wetter und die Augen von Älteren (wie mir und meinem mitfahrenden Kollegen Rudi) haben Probleme, sich an die Nahumgebung zu adaptieren, wenn man vom Blick nach vorne auf den Spiegel wechselt.

Innenspiegel des Polestar 4: Eine Kamera am Heck ermöglicht es, sozusagen durch das Bleck am Heck zu gucken

Durch eine Heckkamera kann man sozusagen durch das Blech gucken

Innenspiegel des Polestar 4: Helligkeit und Blickrichtung lassen sich verstellen

Helligkeit und Blickrichtung lassen sich am Spiegel verstellen

Beim Rangieren allerdings ist der Gentex-Spiegel zusammen mit dem Rundumsicht-System schon ein ganz ordentlicher Ersatz. Und wie ist es, wenn man rückwärts aus einer Querparklücke herausfahren muss? Da hilft ein serienmäßiges Assistenzsystem: Rear Collision Warning and Mitigation (RCWM) warnt, wenn eine Kollision mit dem fließenden Querverkehr droht und bremst im Notfall sogar. Wer oft in belebten Umgebungen innerorts unterwegs ist, wird sich aber wohl ein Auto mit besserer Rundumsicht aussuchen. 

Polestar 4 (2024): Das Cockpit

Interieur und Bedienung

Der Polestar 4 hat erstmals einen Touchscreen im Querformat. Das hat wohl damit zu tun, dass man eine coupéartige Atmosphäre erzeugen wollte, denn der horizontale Monitor betont die Breite des Cockpits. Es hat aber noch einen weiteren großen Vorteil: Auf der rechten Seite bleibt neben der Karte noch Platz frei für diverse Einstellungen. Vor allem für die Rekuperation, denn wie der Polestar 2 und 3 hat auch der 4er keine Lenkradwippen. Mit der Schnellzugriff-Taste rechts lässt sich die Stärke der Bremsenergierückgewinnung zumindest zweistufig einstellen.

Polestar 4: Die Repukerationsstärke lässt sich per Schnellzugriff einstellen (rechts, in Orange)

Die Rekuperationsstärke lässt sich per Schnellzugriff einstellen (Pedalsymbol rechts oben, in Orange)

Generell ist das System sehr bedienungsfreundlich. Polestar hat auf große Tastenflächen geachtet, die man auch während der Fahrt mit dem Finger leicht trifft. Doch Lenkrad und Außenspiegel muss man per Touchscreen und Lenkradtasten einstellen, es gibt keine Hardware-Knöpfchen dafür wie noch beim Polestar 2. Wenn man nach dem Losfahren noch etwas nachkorrigieren muss, wird damit ein Zwischenstopp nötig. 

Das Cockpit ist, wie von Polestar nicht anders gewöhnt, im Stil eines skandinavischen Wohnzimmers gehalten. Mir gefällt das super – Protzerei und sinnlose Design-Mätzchen sind nicht mein Ding, und hier muss man sich nicht darüber ärgern. Besonders stolz ist Polestar auf das Ambientelicht, das gerade im etwas dunklen Fond gut zu sehen ist: Hier prangen Sternchen an den Türinnenseiten.

Polestar 4: Die Farbe des Ambientelichts wird anhand von Planetenbildern eingestellt. Nur dass die Venus in Wirklichkeit nicht rot, sondern weiß ist ...

Die Farbe des Ambientelichts wird anhand von Planetenbildern eingestellt. Nur dass Venus nicht rot, sondern weiß ist.

Die Farbe des Ambientelichts lässt sich steuern, indem man einen passenden Planeten am Touchscreen auswählt. So steht der Mars für Rot, die Erde für Blau und so weiter. Eine nette Idee, die zu Markennamen passt, denn Polestar ist der englische Ausdruck für den Polarstern.

Im Fond sitzt man ausnehmend gut. Die Kniefreiheit ist überragend und man fühlt sich durch die eher geschlossene Karosserieform mit den etwas kleineren Seitenfenster gut aufgehoben – es ist irgendwie behaglich. Ein weiteres Plus ist, dass man hinten höher sitzt als vorne, was den Blick nach vorn erleichtert. Wenn ich bedenke, wie gut man hinten sitzt, werde ich den Verdacht nicht los, dass Polestar hier die chinesische Kundschaft im Blick hatte, denn da sitzt die Hauptperson (die Chefin oder der Chef) rechts hinten und lässt sich chauffieren.

Kofferraum des Polestar 4: Etwas beengt, aber nach dem Entfernen eines Plastikpanels ist Durchladen möglich

Der Kofferraum nach dem mühsamen Entfernen des Plastikpanels

Der Kofferraum war dem Designteam dagegen offenbar weniger wichtig. Zwar schwingt die Heckklappe weit auf und ist damit deutlich praktischer als beim Tesla Model 3 oder Hyundai Ioniq 6. Aber durch die abfallende Dachlinie ist die Höhe des Stauabteils gering.

Und das "Durchladen" ist eine Qual. Die Rücksitze lassen sich leicht umklappen, aber wenn man die volle Höhe des Kofferraums braucht, muss eine Plastikblende entfernt werden. Und nachdem man den alten Bürostuhl, die Kommode oder was immer abgeliefert hat, muss man das Ding wieder einsetzen, was wirklich nicht einfach ist. Das angegebene Stauvolumen ist mit 526 bis 1.536 Liter (inklusive dem Fach unter dem Ladeboden) jedoch in Ordnung.

Akku und Antrieb

Beim Polestar 4 kann man zwischen einem 200-kW-Heckantrieb und einem 400-kW-Allradantrieb wählen. Ich bekam den Hecktriebler zugewiesen, und der erwies sich als recht unscheinbarer Geselle. Irgendwie fühlte ich mich an den VW ID.7 mit dem 210-kW-Heckantrieb erinnert: Der Vortrieb reicht aus, aber Fahrspaß stellt sich damit nicht ein. Die Zahnärztin schreibt bei sowas: "o.B." für ohne Befund. Es gibt nichts zu mäkeln, aber auch nichts, worüber man sich freut. Mit dem Allradantrieb mag das anders sein.    

Der Akku speichert 100 kWh, doch das ist der Bruttowert, netto dürften es nach den Angaben der EV-Database rund 97 kWh sein. Laut Polestar enthält der Akku 110 Zellen und es wird ein Cell-to-Pack-Konzept verwendet. Ob es sich (wie von EV-Database behauptet) um die technisch interessante Qilin-Batterie handelt, ließ sich bei dem Termin nicht klären.

Die Normreichweite nach WLTP ist mit 620 km sehr gut, wenn auch nicht absolut top. Der Polestar 2 dagegen landet mit seinen 659 km noch unter den Top Ten der reichweitenstärksten Elektroautos. Aber das ist Quengeln auf hohem Niveau: Polestar enttäuscht auch beim 4er nicht in puncto Reichweite. 

Polestar 4: Bei meinem Ladeversuch an einer 300-kW-Sääule von Aral ergaben sich rund 100 kW bei einem Ladestand von etwa 80%

Ladeversuch an einer 300-kW-Säule: Rund 100 kW bei einem Ladestand von 76%

Aufgeladen wird mit bis zu 200 kW. Das ist so ziemlich das Maximum für ein 400-Volt- Auto, denn der CCS2-Anschluss ist auf 500 Ampere limitiert, und 400 Volt mal 500 Ampere sind ...? Richtig, 200.000 Watt oder 200 kW. Ein kurzer Ladeversuch ergab rund 100 kW – nicht schlecht für den Ladestand, denn der lag nur wenig unter 80%. Beim Erreichen dieser Schwelle fiel die Ladeleistung abrupt auf 80 kW.

Die aus Nettokapazität (97 kWh) und vom Hersteller angegebener Ladedauer (30 min für 10-80%) errechnete Ladegeschwindigkeit ist mit 2,2 kWh/min gut für ein 400-Volt-Auto – ein VW ID.4 zum Beispiel schafft maximal 2,1 kWh/min. Allerdings vermute ich, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis 800-Volt-Systeme im Premiumbereich Standard werden, womit dann Ladegeschwindigkeiten über 3 kWh/min möglich werden. 

Preise und Konkurrenz

Die Preise für den getesteten Polestar 4 mit Heckantrieb beginnen bei 57.900 Euro; dabei ist der bis November gewährte Einführungsrabatt von 4.000 Euro schon eingerechnet. Laut unserem Konkurrenzvergleich mit dem Mercedes EQE SUV, Tesla Model 3 und Hyundai Ioniq 6 ist der Preis deutlich günstiger als bei Mercedes, aber spürbar höher als bei Tesla und Hyundai. Ansonsten fanden wir keine unwiderlegbaren Vorteile des Polestar. Und der relativ hohe Stromverbrauch fiel auf.

Der Hersteller selbst nennt den Porsche Macan Electric als Rivalen; der ist allerdings nicht nur höher, sondern in der Basisversion auch deutlich flotter als unser Polestar 4,. Für die folgende Vergleichstabelle haben wir noch das Macan-Schwestermodell Audi Q6 e-tron und den Polestar 2 hinzugenommen (deutlich bessere Werte gefettet):

  Polestar 4 Long Range Single Motor Polestar 2 Long Range Single Motor Audi Q6 e-tron Porsche Macan Electric
Antrieb RWD 200 kW RWD 220 kW RWD 215 kW (mit Launch Control) RWD 265 kW (mit Launch Control)
0-100 km/h 7,1 Sek. 6,2 Sek. 7,0 Sek. 5,7 Sek.
Höchstgeschwind. 200 km/h 205 km/h 210 km/h 220 km/h
WLTP-Verbrauch 17,8-18,1 kWh 14,8-15,8 kWh 16,0-18,6 kWh 17,0-19,8 kWh
Akku netto ca. 94 kWh ca. 79 kWh 75,8 kWh 95 kWh
WLTP-Reichweite 620 km 659 km 458–533 km 536-641 km
DC-Ladedauer 30 min 28 min 21 min 21 min
Ladegeschwindigkeit ca. 2,2 kWh/min ca. 2,0 kWh/min 2,5 kWh/min 3,2 kWh/min
Länge / Höhe 4,84 / 1,53 m 4,61 / 1,48 m 4,77 / 1,67 m 4,78 / 1,62 m
Kofferraum 528-1.536 Liter 407-1.097 Liter 526-1.529 Liter 540-1.348 Liter
Basispreis 57.900 Euro 52.690 Euro 63.500 Euro 80.700 Euro

Man erkennt, dass der Polestar 2 bei Antrieb, Reichweite und Verbrauch dem Polestar 4 überlegen ist, er hat aber (wegen der geringeren Länge) einen deutlich kleineren Kofferraum, auch wenn der besser nutzbar ist als beim Polestar 3. Der kleine Bruder kostet rund 5.000 Euro weniger als unser Polestar 3. Der Audi bietet wegen der kleineren Batterie spürbar weniger Reichweite, ist aber beim Laden fixer. Der Unterschied ist hier allerdings wegen der geringeren Batteriespannung kleiner als bei den stärkeren Q6-Varianten. Außerdem ist der Audi teurer.

Der Porsche ist beim Schnellladen deutlich besser als der Polestar 3. Auch bei der Reichweite hat er die Nase vorn, wenn man eine Version mit kleinen Rädern und wenig Ausstattung nimmt. Insgesamt ist der Macan wohl zusammen mit dem Polestar 2 das beste Auto im Vergleich. Dafür langt Porsche richtig hin: Der Wagen kostet über 20.000 Euro mehr als der Polestar 4.

Fazit

Der Größenunterschied zwischen Polestar 3 und 4 fällt in freier Wildbahn gar nicht so sehr auf. Aber der Unterschied beim Fahren ist groß, wie ich bei meinen Tests feststellte: Der Polestar 4 wirkte eher unscheinbar, der 3er dagegen richtig sportlich. Das mag auch daran gelegen haben, dass ich beim Polestar 4 den eher moderat motorisierten Hecktriebler erwischt habe. Der Polestar 3 hat mir jedenfalls um Längen besser gefallen als der Polestar 4.

Der Polestar 4 ist für mich primär ein Designer-Experiment für Leute, die das Besondere lieben. Wer oft in der City unterwegs ist, sollte das Auto wegen der beschränkten Rundumsicht aussortieren. Gut eignet er sich als Chauffeursfahrzeug, weil man hinten so schön sitzt. Hierzulande werden allerdings meist Kinder im Fond kutschiert, und dass man sich des Nachwuchs wegen für dieses Auto entscheidet, ist zweifelhaft. Zumal der Polestar 4 für ein Familienauto einen zu unpraktischen Kofferraum hat.

Bildergalerie: Polestar 4 (2024): Bilder zum Test

Bildergalerie: Polestar 4 (2024): Bilder zum Test