Vom Audi Q8 e-tron, BMW iX und Mercedes EQS SUV bis zum Tesla Model X, Kia EV9 und BYD Tang: Richtig dicke Elektro-SUVs gibt es eigentlich schon in ausreichender Zahl. Mit dem Nio EL8 startet im September noch ein weiteres Modell. Was hat der Neuling, was die anderen nicht haben? Wir haben den China-Brummer rund um Köln getestet, um es herauszufinden.
Schnelle Daten | Nio EL8 Long Range Executive (2024) |
Antrieb | Allradantrieb mit 480 kW (PSM mit 300 kW vor, ASM mit 180 kW hinten) |
Drehmoment | 850 Nm |
0-100 km/h / Spitze | 4,1 Sek. / 200 km/h |
Batterie | 90,0 kWh netto |
WLTP-Reichweite | 487-510 km |
Max. Ladeleistung | 240 kW an 660-Ampere-Säulen, 185 11 kW |
Basispreis | 87.900 plus 289 Euro Batteriemiete monatlich oder 108.900 Euro mit Batterie |
Exterieur | Interieur | Antrieb und Akku | Fahreindrücke | Preise | Fazit
Exterieur
Im neuen Nio-Hub in Köln sehe ich mir die Modelle der vor zehn Jahren gegründeten Premiummarke noch einmal an: Neben dem Erstling, der Oberklasselimousine ET7, stehen die schicken Mittelklassemodelle ET5 und ET5 Touring, das Mittelklasse-SUV EL6 und schließlich auch der EL8. Letzterer wirkt im Vergleich zum EL6 wirklich massig, der Vorderwagen wirkt wie ein Rammbock. Mit 5,10 Meter ist er nochmal 25 cm länger als der EL6, außerdem noch ein paar Zentimeter höher und breiter. Nein, zierlich ist er nicht, der Neue.
Wie alle Nio-Modelle hat auch der EL8 echt rundliche Formen ohne viele Kanten. Dazu kommen schlitzartige Tagfahrlichter vorne und als auffälliges Merkmal drei Sensoren auf dem Dach (in der Mitte ein Lidar, links und rechts je eine Frontkamera). Ebenfalls Nio-typisch sind die eckigen, ausfahrenden Türgriffe. Apropos: Zum Öffnen kann man entweder den mitgelieferten "Schlüssel" (eher ein Handschmeichler) nutzen, oder eine Keycard, die praktischerweise auch als Ladekarte nutzbar ist. Alternativ kann man auch das eigene Handy nutzen.
Interieur
Wie außen, so haben die Nio-Modelle auch im Cockpit vieles gemeinsam. Da gibt es einen senkrecht eingebauten Touchscreen (12,8 Zoll), ein Instrumentendisplay im Querformat (12,2 Zoll) und ein Head-up-Display. Die Getriebemodi P, D und R werden über eine Art Rolle in der Mittelkonsole aktiviert. Und natürlich thront Nomi Mate auf dem Armaturenbrett, die Avatar-artige Kommunikations-Kugel, die von Journalisten gern bekrittelt, von Kindern aber geliebt wird.
Die Optik ist so "clean" wie außen, und so gibt es kaum Tasten. Um Spiegel und Lenkrad einzustellen, öffnet man die entsprechende Seite auf dem Touchscreen und drückt dann die Cursor-artigen Tasten am Lenkrad, bis es passt – nicht so intuitiv wie nach der hergebrachten Methode, aber natürlich hat der EL8 Memory-Funktionen, so dass man das nur einmal machen muss. Klimaanlage und Lautstärke werden ebenfalls über den Touchscreen eingestellt, aber die entsprechenden Tasten am unteren Bildschirmrand sind leicht zu finden.
Die Atmosphäre wird beherrscht vom neutralen, ruhigen Grau der Innenausstattung. Die Materialien machen einen guten Eindruck, nur weit unten gibt es Hartplastik, und sogar die Innenseite der Türfächer ist mit Teppich ausgekleidet.
Zu den Highlights gehören die superweichen Kissen an den hinteren Kopfstützen – im Stil der ersten Klasse im ICE oder der Mercedes S-Klasse. Und das große Glasdach, dessen vorderer Teil sich öffnen lässt. Dabei hilft auch gerne Nomi, genauso wie beim Öffnen und Schließen der Fenster. Ansonsten taugt sie noch zum Erzählen von Witzen, zum Starten der Navigation, aber zu wenig mehr. Sie kann keine Rechenaufgaben erledigen, weiß nicht wie hoch der Eiffelturm ist, kann mich nicht über die Börsenkurse informieren und auch nicht erklären, wie man die Rekuperationsstärke einstellt.
Die Ausstattung ist extrem umfangreich. Eine Luftfederung mit geregelten Dämpfern gehört ebenso dazu wie eine Fünfzonen-Klimaanlage, und bei der Executive-Version auch ein kleiner Kühlschrank zwischen den Sitzen der zweiten Reihe. Der lässt sich auch zum Warmhalten des Burgers (bis 50 Grad) verwenden. Die umfangreiche Ausstattung gehört zu den dicksten Pluspunkten des Autos, daher hier die offizielle Broschüre mit allen Details zum Download:
Bedienung, Sitzsystem und Fahreindrücke
Gestartet wird der Nio EL8 eigentlich gar nicht; wenn man einsteigt, ist das System schon aktiviert. Umgekehrt beim Aussteigen: Es reicht, den Parkmodus einzulegen und das Auto mit dem Schlüssel in der Tasche zu verlassen, verriegelt wird von selbst – sehr praktisch. Die zahlreichen Funktionen des EL8 sind im übersichtlichen Touchscreen-System leicht zu finden und wo nötig auch ausführlich erklärt.
Die Rekuperation lässt sich dreistufig einstellen
Ein Manko ist jedoch, dass sich die Stärke der Rekuperation nur in einem Untermenü des Touchscreens einstellen lässt – Lenkradpaddles wären viel besser, aber zumindest sollte man die entsprechende Seite über den Button in der Mittelkonsole oder über Nomi aufrufen können. Drei Rekuperationsstufen werden angeboten, aber auch in der stärksten ist kein One-Pedal-Driving möglich.
Ladeplanung von Köln nach Paris
Wie immer haben wir versuchsweise eine Laderoute erstellt. Das System präsentierte schnell eine plausible Planung für die Fahrt von Köln nach Paris, mit zwei Ladestopps bei Ionity. Zu jedem Ladestopp erfährt man, die viele Säulen mit wieviel Ladeleistung es gibt, wie viele belegt sind und sogar die Strompreise. Auch wird gezeigt, bis zu welchem Ladestand man laden sollte – nicht aber wie lange der Ladestopp dauern sollte. Das wäre eine interessante Information, falls man die Zeit zum Essen oder einen Spaziergang nutzen möchte.
Nun aber zum Sitzsystem: Der Nio EL8 hat stets sechs Plätze. Die von uns gefahrene gefahrene Executive-Version hat in der zweiten Sitzreihe eine Mittelkonsole, die Ladeschalen fürs Handy, Cupholder und den erwähnten Kühlschrak enthält. Bei der "familienorientierten" Basisversion gibt es stattdessen einen Zwischenraum, durch den man in die dritte Reihe durchschlüpfen kann. Am Beifahrersitz gibt es einen Hebel, mit dem man eine Fußstütze herunterklappen und die Lehne weit nach hinten legen kann. Ähnlich dahinter, wo in China der Chef sitzt.
Sitz in der zweiten Reihe in der Ruhe-Position bei der Executive-Version
Zum Einsteigen nach ganz hinten drückt man einen Knopf an der Lehne der 2. Reihe, und der Sitz fährt vor. Das Einsteigen ist dann nicht weiter schwer. Sogar in der dritten Reihe ist noch ausreichend Platz für zwei mittelgroße Personen.
Die Heckklappe öffnet sich auf eine "Fußgeste" hin bis zur eingestellten Höhe. Die Sitze lassen sich vom Heck aus mit Knöpfen umklappen oder auffalten. Das Kofferraumvolumen beträgt 265 Liter bei sechs nutzbaren Sitzen und 810 Liter bei vier nutzbaren Sitzen.
Nur die hintersten Sitze lassen sich umklappen
Die Sitze in der zweiten Reihe lassen sich nicht umklappen. Ein Auto für den Baumarkt-Besuch ist der EL8 nicht, gibt man bei Nio zu. Vermutlich lässt man sich Möbel einfach liefern und transportiert sie nicht mit dem eigenen 100.000-Euro-Auto. Aber ein Nachteil gegenüber dem Mercedes EQS SUV oder dem BMW iX ist es doch. Ach ja, und einen Frunk hat der EL8 auch nicht.
Auch wenn der EL8 wie ein Wohnzimmer aussieht, fahren kann man auch mit ihm. Um die maximale Beschleunigung zu genießen, wähle ich den "Sport+"-Modus. Nur damit wird die Sprintzeit von 4,1 Sekunden erreicht. Damit ist der Vortrieb wirklich brachial. In diesem Modus ist allerdings auch die Lenkung unangenehm zäh – ich habe sie lieber so leichtgängig wie in "Comfort" oder "Eco". Gut also, dass sich das im individuellen Modus einregeln lässt.
Anzeige des Stromverbrauchs nach der Testfahrt
Ich fuhr den EL8 mit den optionalen 22-Zöllern, die weniger Komfort und eine geringere Reichweite bieten dürften als die serienmäßigen 20-Zöller. Dennoch sorgt die Luftfederung für eine angenehme Fahrt, und der Stromverbrauch blieb mit rund 23 kWh/100 km im Rahmen.
Der Unterschied in den Rekuperationsmodi ist deutlich spürbar. Ich würde in der Stadt am liebsten das bequeme One-Pedal-Driving nutzen (was der EL8 nicht hat), außerhalb wegen der Effizienz lieber segeln. Zum Umschalten muss man immer umständlich in ein Untermenü – wenn man alleine fährt, lenkt das ungemein ab.
Die Inserts von den Totwinkel-Kameras, die man beim Spurwechsel (ich glaube, immer wenn man blinkt) angezeigt bekommt, sind eine gute Idee. Aber da sie am Touchscreen erscheinen, habe ich sie als Fahrer nicht ein einziges Mal beachtet. Bei Hyundai erscheinen diese Inserts im Instrumentendisplay, aber dafür ist das Nio-Display wohl zu klein.
Abstandstempomat und Spurhalteassistent scheinen gut zu funktionieren. Letzterer hielt selbst auf engen Landstraßen ohne äußere Begrenzungslinie die Spur. Aber das Tempolimit wird auch nicht auf Wunsch übernommen, man muss es jedes Mal per Lenkradbutton bestätigen. Damit entfällt für mich der Hauptnutzen eines solchen Systems: Mir hilft es, die Geschwindigkeitsbegrenzung einzuhalten, auch wenn ich im Gespräch mit der Beifahrerin und dadurch abgelenkt bin.
Antrieb und Akku
Wie alle Nio-Modelle ist auch der EL8 fast schon übermotorisiert. Während es die Mittelklassemodelle noch mit einem 360-kW-Allradantrieb bewenden lassen, bietet der EL8 gleich 480 kW. Das dahinter steckende Allradsystem ist etwas seltsam: Es besteht aus einem 300-kW-Permanentmagnet-Motor vorne und einer 180-kW-Asynchronmaschine hinten. Wenn nicht die ganze Power gebraucht wird, wird letztere abgeschaltet und das Auto wird zum Fronttriebler – in dieser Klasse ist es meistens andersrum.
Der Strom kommt aus einer der beiden Standardbatterien von Nio: Der 75-kWh-Akku (73,5 kWh netto) ermöglicht bis zu 390 WLTP-Kilometer, die 100-kWh-Batterie (90,0 kWh netto) bis zu 510 km. Da selbst 510 km noch relativ wenig für diese Klasse sind, dürfte nur die große Batterie relevant sein. Aufgeladen wird sie mit bis zu 11 kW Wechselstrom und bis zu 240 kW Gleichstrom. Letzteres ist jedoch nur an den allerneuesten DC-Säulen möglich, die bis zu 660 Ampere bieten. Damit dauert der übliche Ladehub von 10 auf 80 Prozent angeblich nur 20 Minuten – das wäre eine Ladezeit wie bei einem 800-Volt-System.
An älteren Ionity-Ladern mit den üblichen 500 Ampere sind nur 185 kW möglich, aber auch dann bleibt der Ladevorgang auf 24 Minuten beschränkt. (Am Rande bemerkt: Laut Preisliste sind es nur 125 kW, aber das bezieht sich auf die ältere Version der 100-kWh-Batterie, die noch über die Swapping-Stationen erhältlich ist. Und mit der kleineren Batterie ist das Laden mit 240 kW generell nicht möglich.)
Fürs Schnellladen wird die Batterie automatisch vorkonditioniert, wenn man die Säule als Navi-Ziel eingibt. Auch eine manuelle Vorkonditionierung gibt es – so braucht man, wenn man den Weg zum Lader ohnehin kennt, nicht immer die Navigation zu starten.
Preise und Rivalen
Die Preise für den Nio EL8 beginnen bei 82.900 Euro – plus einem monatlichen Betrag für die Batteriemiete von 169 Euro für den 75-kWh-Akku oder 289 Euro für die 100-kWh-Batterie. Die gefahrene Executive-Version kostet 87.900 Euro ohne Batterie, die Batteriemiete kostet genauso viel. Vorteil der Batteriemiete: Man kann die Swapping-Stationen von Nio nutzen. Davon gibt es bislang 17 in Deutschland und 51 in Europa. Die Möglichkeit zum Batterietausch an den Power Swapping Stations (PSS) ist laut Nio auch der Hauptgrund, sich ein Modell der Marke zu kaufen.
Wer die Batterie dennoch kaufen möchte, zahlt 12.000 bzw. 21.000 Euro Aufpreis. Bei der großen Batterie landet man so bei 103.800 Euro für die "familienorientierte" Version und 108.900 Euro für die Executive-Variante. Nichts für Otto Normalverdiener also. Die wichtigsten Konkurrenten wurden schon eingangs genannt, hier nur eine kleine Tabelle mit preislich vergleichbaren Modellen (deutlich bessere Werte gefettet):
Nio EL8 Long Range | Mercedes EQS SUV 450+ | BMW iX xDrive50 | Audi SQ8 e-tron | |
Antrieb | AWD 480 kW | RWD 265 kW | AWD 385 kW | AWD 370 kW |
0-100 km/h | 4,1 Sek. | 6,8 Sek. | 4,6 Sek. | 4,5 Sek. |
WLTP-Verbrauch | 21,2 kWh | 18,8 kWh | 19,5 kWh | 25,2 kWh |
Akku netto | 90,0 kWh | 118 kWh | 108,8 kWh | 106 kWh |
Reichweite | 510 km | 719 km | 633 km | 476 km |
DC-Ladedauer (10-80%) | 24 min | 31 min | 35 min | 31 min |
DC-Ladegeschwind. | 2,6 kWh/min | 2,7 kWh/min | 2,2 kWh/min | 2,4 kWh |
Sitze | 6 | 5 oder 7 | 5 | 5 |
Kofferraum | 265-810 Liter | 645-2.100 Liter | 500-1.750 Liter | 631-1.637 Liter |
Max. Anhängelast | 2.000 kg | 750 kg | 2.500 kg | 1.800 kg |
Preis | 103.800 Euro | 110.801 Euro | 107.900 Euro | 98.100 Euro |
Bildergalerie: Nio EL8 (2024) im Test
Fazit
Der Nio EL8 ist außen riesig und bietet seinen sechs Insassen viel Platz, aber beim Kofferraum sieht es schlecht aus. Mit dem 480 kW starken Allradsystem ist das Auto fast schon übermotorisiert, aber die Reichweite von 510 km ist für diese Klasse wirklich mau. Was mir das Auto verleidet, ist auch, dass man die Rekuperation nicht über Wippen einstellen kann, dass kein One-Pedal-Driving möglich ist, dass das Tempolimit nicht automatisch übernommen wird und dass sich die zweite Sitzreihe nicht umklappen lässt.
Recht hoch ist allerdings die DC-Ladegeschwindigkeit, wenn die von Nio angegebenen Zeiten stimmen: 20 min an einer modernen 660-Ampere-Säule oder 24 min an üblichen Ionity-Säulen sind kaum mehr als bei 800-Volt-Autos. Zudem punktet der EL8 mit der außergewöhnlich umfangreichen Ausstattung. Aber mir persönlich wären Reichweite und Kofferraum wichtiger.