Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Kollege Wagner das erste Mal die Gelegenheit, den neuen Renault Megane E-Tech Electric zu fahren. Wie das bei dynamischen Präsentationen in der Autowelt aber so ist, hat man bei der ersten Produktpräsentation meist nur wenige Stunden, um sich mit dem neuen Fahrzeug vertraut zu machen. Einige Schwächen oder auch positive Attribute fallen da manchmal durchs Raster ...
Deshalb wechseln wir nun aus dem Alles-ist-easy-Mediadrive-Modus in den Alltag, um herauszufinden, ob es noch verborgene Eigenheiten an dem Elektro-Crossover gibt, die nicht auf den ersten Blick und den ersten Kilometern ersichtlich sind.
An den allgemeinen Pros und Kontras ändert sich aber selbstverständlich nichts und wir haben es immer noch mit dem Renault Megane E-Tech Electric mit 60-kWh-Akku und 160 kW starkem Frontantrieb zu tun. Deshalb können wir Ihnen – bevor wir uns gemeinsam im Klein-Klein des Modells verlieren dürfen – jetzt vorab die Grundlagen-Forschung als wagnerisches Aufbauseminar empfehlen.
Fahrdynamisch und beim Raumangebot im Fond ist der neue Megane E-Tech Electric eine kleine Enttäuschung. In allen anderen Disziplinen macht er allerdings einen hervorragenden, sehr geschliffenen Eindruck.
Gerade in puncto Verbrauch und Infotainment fährt er an die Spitze des Feldes. Die Preisgestaltung ist sicher nicht ohne, allerdings gibt es vielversprechende Leasingraten. Auch wenn er nicht so aussieht: Ein angenehm normales E-Auto, das im Alltag sicher sehr gut funktionieren wird. Insbesondere aufgrund der Bedienung eine echte Alternative zum ID.3.
Im Fazit von Anfang 2022 wurde bereits vermutet, dass der Elektro-Renault sehr gut im Alltag funktionieren könnte. Und was sollen wir sagen ... dem ist auch so.
Wie fährt er sich?
Herrlich unaufgeregt. Er bringt einen entspannt von A nach B. Mit sehr viel Komfort. Erstaunlich ist hier vor allem, dass man vor den gewaltigen 20-Zoll-Felgen keine Angst haben muss. Irgendwie hat es der französische Hersteller nämlich geschafft, auch mit einem niedrigen Querschnitt der Reifen (aufgezogen waren 215/45 R20) genügend Wolfühlfaktor für den Rücken zu schaffen. Es werden keine lauten Abrollgeräusche oder Stöße in den Innenraum übertragen. Schön.
Die fehlende Sportlichkeit des Fahrwerks mag vielleicht fehlen, die teils von der Leistung überforderte Vorderachse, das manchmal etwas unsanft regelnde und sehr übergriffige ESP nerven, aber im Alltag ist man sowieso eher im Eco- oder Comfort-Modus unterwegs, um Energie zu sparen. Und der zielgenauen Lenkung sowie der ausreichenden Motorleistung von 160 kW tut dies keinen Abbruch.
Aber Eco? Muss das sein?
Gerade im Winter bei niedrigen Temperaturen eine empfehlenswerte Sache. Vom WLTP-Verbrauch, den man unter perfekten Bedingungen im Sommer anscheinend recht leicht herausfahren kann, sind wir auf unseren rund 800 Testkilometern nämlich etwas entfernt. Zwischen 19 und 20 kWh/100km flossen am Ende im Durchschnitt durch die Kabel zum Motor. Mehr, ja, aber immer noch gute Werte, wenn man bedenkt, dass wir auf keinerlei Komfortfeatures verzichtet haben und ab und zu sogar die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h ausnutzten.
Nach zwei Wochen sank die vom Computer errechnete Reichweite auf der Anzeige so von anfangs 390 km auf rund 280 km ab. Für die meisten Alltagsfahrten immer noch genug, ins Wochenende sollte man aber stets mit einem vollen Akku starten, um unterwegs nicht all zu viel Zeit am Schnelllader zu verlieren. Denn auch hier schwächelt der Megane E-Tech Electric.
Angegeben ist eine maximale Ladeleistung von 130 kW. Wir schaffen kurzzeitig mal 80 kW, ansonsten wird aber bei eher 50 kW rumgegurkt. Hier fehlt eindeutig eine Vorkonditionierung, um den Akku auf stärkere Stromstöße vorzubereiten.
Trotzdem kommen wir mit der etwas langsameren Ladepower im Winter ganz gut zurecht, denn schließlich fasst der Akku ja auch nur 60 kWh und so stehen wir eigentlich nie länger als 20 bis 30 Minuten an einer der öffentlichen DC-Säulen, um 150 bis 200 km nachzuladen.
Was hat sonst noch gut gefallen?
Zum Beispiel die kabellose Verbindung mit Apple CarPlay. Einmal eingerichtet muss man so nur noch mit dem Smartphone in der Tasche einsteigen und schon startet das System wieder dort, wo man vorher ausgestiegen ist. Perfekt. Aber wirklich nutzen muss man diese Funktion auch nicht unbedingt, denn das Google-basierte Infotainment-System ist so dermaßen scharf, schnell und gut aufgebaut, dass das Auto gerne auch einmal über die bordeigenen Funktionen verwaltet.
Ein weiterer Pluspunkt: Man merkt im Detail, dass sich Renault in vielerlei Hinsicht Gedanken über das Fahrzeuggewicht gemacht hat. Leer bringt der Elektro-Megane gerade einmal 1,7 Tonnen auf die Waage. Und das tut dem Verbrauch gut. Dafür verzichtet man gerne auf teils nutzlos-gewichtige Einbauten wie eine elektrische Sitzverstellung oder eine elektrische Heckklappe.
An dem allgemeinen Ambiente, das aus tollen Materialien mit guter Verarbeitung zu einem ansprechenden Design zusammenfügt wurde, kann man sich auch nach 14 Tagen nicht sattsehen. Die Sitze in der ersten Reihe sind – entgegen der Meinung meines Kollegen mit längeren Beinen – durchaus auch für längere Strecken geeignet und unsere Ü-1,80 Meter großen Gäste im Fond waren entweder sehr genügsam, was Bein- und Kopffreiheit angeht oder der 50 Kilometer weite Ausflug war nicht lang genug, um beengte Verhältnisse feststellen zu können.
Was nervt im Alltag?
Nicht viel. So viel sei vorweg gesagt. Aber es gibt doch Dinge, auf die man achten sollte. Uns fehlt (trotz des tollen Kombiinstruments hinterm Lenkrad) ein Head-up-Display, Matrix-LED-Scheinwerfer wären cool, die ansonsten gute Klimabedienung kann nichts an der laschen Lenkradheizung ändern, drei Hebel an der rechten Seite des Volants (Gangwahl, Scheibenwischer, Musikanlage) sind mindestens einer zu viel.
Ach ja: Die Fensterheber wollen manchmal einen Extratipper auf den Schalter und reagieren nicht sofort, ein großes Smartphone aus der induktiven Ladeschale fummeln nervt und die Türgriffe zum Fond hat noch niemand auf Anhieb von selbst gefunden.
Und dann wären da noch die bereits bemängelten Punkte um die elendig hohe Ladekante zum 389 Liter großen Kofferraum. An der miserablen Aussicht nach hinten hat sich seit dem vergangenen Test ebenfalls nichts geändert. Ja ... es gibt den Kamerainnenspiegel, aber dessen Auflösung ist so lala und an die unnatürliche Perspektive kann man sich auch nach 800 Kilometern nicht wirklich gewöhnen.
Fazit: 7,5/10 Punkte
Der erste Renault mit CMF-EV-Unterbau ist mehr als gelungen. Auch wenn es den einen oder anderen Kritikpunkt zu bemängeln gibt, würden wir den Kaufpreis unseres Testwagens von 50.800 Euro (optional an Bord sind ein Fahrassistenzpaket für 2.600 Euro, Infotainment-Zubehör für 850 Euro, die Wärmepumpe für 1.100 Euro, ein längeres Ladekabel für 300 Euro, Metallic-Lack für 850 Euro und die Zweifarblackierung für noch einmal 400 Euro extra) lieber in einen Megane E-Tech Electric als in andere C-Segment-SUV-Konkurrenten (beispielsweise auch aus Wolfsburg) investieren.
Im Winter muss man sich zwar mit einem etwas höheren Verbrauch arrangieren, aber mit dieser Eigenschaft haben derzeit noch alle Elektroautos zu kämpfen. Manche schlagen sich zwar besser, aber Ende verlieren alle etwas an Reichweite und Ladegeschwindigkeit. Wenn Sie also eher komfortbewusst als sportlich durch den Alltag stromern, könnte sich der Gang zu Renault lohnen. Vor allem weil der Hersteller für im März bestellte Fahrzeuge noch eine Prämie von 7.200 Euro garantiert.
Bildergalerie: Renault Megane E-Tech Electric (2023) im Test
Renault Megane E-Tech Electric EV60 220hp