Elektromotoren arbeiten nicht in jedem Drehzahlbereich gleich effizient: Generell muss man sich entscheiden, ob man den Motor mit einer Sternschaltung auf niedrige Drehzahlen (also niedriges Tempo) auslegt, oder mit einer Dreiecksschaltung auf maximale Effizienz bei hohem Tempo. Kia hat beim EV9 nun eine Möglichkeit gefunden, beides miteinander zu vereinen.

Beim Kia EV9 verwendet der Hersteller sowohl hinten wie vorne recht normale Permanentmagnet-Synchronmotoren vom deutschen Zulieferer Vitesco, wie Munro Live in seinem Youtube-Kanal berichtet. Allerdings hat der Motor sechs Anschlüsse statt der üblichen drei, wie den Fachleuten auffiel, als sie das Auto auseinanderbauten. Auch am Inverter finden sich sechs Anschlüsse. Mit Hilfe der zahlreichen Anschlüsse und des Inverters gelang es, dass während des Betriebs effizient zwischen Stern- und Dreiecksschaltung hin- und hergeschaltet werden kann.

Stator eines Elektromotors aus dem Kia EV9 mit sechs Anschlüssen (Screenshot aus dem Video von Munro Live)

Stator eines Elektromotors aus dem Kia EV9 mit 6 Anschlüssen (Screenshot aus dem Munro-Live-Video)

Normalerweise hat ein Drehstrom-Elektromotor drei Anschlüsse am Stator, einer für jede der drei Phasen. Der Inverter macht aus dem Gleichstrom der Batterie dreiphasigen Wechselstrom und schickt ihn an den Motor. Dabei wird jede Phase mit einem Ende der drei Kupfer-Wicklungen verbunden. Da jede Wicklung zwei Enden hat, gibt es dafür insgesamt sechs Möglichkeiten. Je nachdem, welche Phase mit welchem Wicklungsende verbunden wird, ergibt sich entweder eine Stern- oder eine Dreiecksschaltung.

Das Prinzip wird im folgenden Video von Der Elektroniker allgemeinverständlich erklärt, und zwar am Beispiel einer Anlaufschaltung fürs Hochfahren des Motors:

Beim EV9 können mit den sechs Anschlüssen die sechs Wicklungsenden einzeln angesprochen werden – ähnlich wie Der Elektroniker an seinem Motorklemmbrett die drei Außenleiter (von denen der Strom kommt) mit drei von sechs Wicklungsenden verbindet. So lässt sich eine Sternschaltung (auch Y oder Wye-Schaltung genannt) oder eine Dreiecksschaltung (auch Delta-Schaltung genannt) verwirklichen:

  • Sternschaltung: Optimal für hohes Drehmoment und große Effizienz bei niedrigem Tempo
  • Dreiecksschaltung: Gut für hohe Leistung und maximale Effizienz bei hohem Tempo

Das Umschalten zwischen Stern- und Dreiecksschaltung ist in der Branche nichts Neues, wie das Beispiel der Anlaufschaltung zeigt. Aber typischerweise muss man dazu die Maschine aus- und wieder anschalten, erklärt Munro-Chefingenieur Paul Turnbull im Video. Beim Kia EV9 wird das Hin- und Herschalten vom Inverter übernommen, und das ist offenbar der Trick dabei: Der Inverter gestaltet das Umschalten so weich und effizient, dass der Strom dafür nicht abgeschaltet werden muss.

Dazu benötigt Kia zwei komplett unabhängige Schalter im Inverter. Diese Komponenten sind inzwischen so erschwinglich geworden, dass der Einbau von zwei statt einem Schalter nicht mehr unmöglich ist, so Paul im Video.

Kia EV9 (2023)

Der Kia EV9 schaltet wohl ab einem bestimmten Tempo von Stern- auf Dreiecksschaltung um

Auf die Sternschaltung umgeschaltet wird wohl irgendwo oberhalb von Stadttempo; Paul erwähnt ein Tempo von 45 mph (rund 72 km/h) – das jedoch dürfte eine Software-Frage sein. Laut Paul wird das Umschalten wohl automatisch geschehen. 

Schon beim Teardown-Prozess des Hyundai Ioniq 5 war Munro Live etwas Interessantes aufgefallen: Der Motor hat vier Anschlüsse statt der üblichen drei, genauso wie der Inverter. Der zusätzliche Anschluss dient dazu, dem 800-Volt-Auto das Laden an der 400-Volt-Säule zu ermöglichen, ohne dass ein spezieller Aufwärtswandler (Boost Converter) benötigt wird: Um die niedrige Spannung der Säule auf die benötigten 800 Volt zu erhöhen, verwendet der Hersteller die Wicklungen des Elektromotors. Erklärt wird das im folgenden, schon etwas älteren Video (ab etwa 11:30):

Vier Anschlüsse beim Motor des Ioniq 5, sechs beim EV9. Beim neuen Modell hat der Konzern die Sache also noch ein wenig weiter getrieben, erklärt Paul im Video. 

Unter dem Strich

Beim Hyundai Ioniq 5 hat der koreanische Autohersteller einen Weg gefunden, die Wicklungen des Elektromotors beim Schnellladen zu nutzen. Damit spart man sich einen eigenen DC-DC-Wandler (Aufwärtswandler), um 400-Volt-Strom auf die benötigten 800 Volt zu bringen. Beim EV9 hat der Konzern ebenfalls eine gute Idee gehabt: Man spricht die Wicklungen so detailliert an, dass man mittels zweier Schalter im Inverter zwischen einer Stern- und einer Dreiecksschaltung hin- und herschalten kann. Für ihre Ideen loben die Munro-Ingenieure den Konzern in den höchsten Tönen.