Bereits bei der Vorstellung des EV6 im April 2021 kündigte Kia die Topversion GT an, eine 430 kW starke Version mit 3,5-Sekunden-Sprint. Wenig später nannte Kia dann auch einen Preis für den Boliden: 65.990 Euro.

Nun hat offenbar die Inflation die Kosten in die Höhe getrieben, jedenfalls soll der endgültige Verkaufspreis bei 69.990 Euro liegen. Der Wagen ist ab sofort bestellbar; wann die Auslieferung beginnt, sagt Kia nicht, doch bisher hieß es, der GT werde noch 2022 starten.

Schon im April 2022 konnten wir zum ersten Mal in der EV6-Topversion mitfahren. Dabei konnten wir wieder einmal feststellen: Elektroautos müssen keine lautlose Langweiler sein. Das zeigen nicht nur der Porsche Taycan Turbo S, das Tesla Model S Plaid oder das Model 3 Performance, sondern auch der neue Kia EV6 GT. Schön, dass es die Unvernunft auch in die neue Mobilitätsära schafft.

Mitfahrt und Biermann

Ans Steuer des Prototypen können wir noch nicht. Dort sitzt stattdessen Albert Biermann. Könnte schlimmer sein. Und dem einen oder anderen dürfte der Name ein Begriff sein. Der einstige Entwicklungschef der BMW M GmbH wechselte im Jahr 2015 zum Hyundai-Kia-Konzern und war dann erst einmal maßgeblich an der Einführung der Hyundai-N-Performance-Modelle beteiligt. Doch jetzt macht er also in Performance-Elektroautos auf E-GMP-Basis. Und bevor wir einen Hyundai Ioniq 5 N auf den Straßen sehen, war jetzt eben erst einmal der EV6 von Kia im Biermannschen-Bodybuilding-Workshop.

Kia EV6 GT (2022): Erste Mitfahrt
Kia EV6 GT (2022): Erste Mitfahrt

Herausgekommen ist ein EV6, der aber nicht unbedingt durch eine Muskelproll-Optik besticht. Natürlich fallen die sportlicher gestalteten Schürzen vorne und hinten (sogar mit Diffusor) sowie die serienmäßigen 21-Zoll-Felgen mit den neonfarbenen Bremssätteln auf. Ansonsten bleiben Front-, Seiten- und Heckansicht aber weitestgehend unangetastet in dem schicken Gran Turismo-Look mit technischen Highlights wie der LED-Lichtleiste am Heck und den Dual-LED-Scheinwerfern an der Front.

Neonfarben und 430 kW

Dieses doch verhältnismäßig brave Außendesign täuscht ein wenig darüber hinweg, dass Kia den EV6 GT eigentlich als elektrischen Stinger-Moment sieht. Potentes Halo-Car und so. Und deshalb leisten die zwei PSM-Elektromotoren insgesamt 430 kW (585 PS). Davon entfallen 160 kW (218 PS) auf die Vorder- und 270 kW (367 PS) auf die Hinterachse. Das System-Drehmoment wird mit 740 Nm angegeben. Die wunderbar ausgeformten Schalensitze in der ersten Reihe mit den ebenfalls neongelben Akzenten, die GT-Taste zur Modiwahl am Lenkrad sowie die zahlreichen GT-Logos kommen also nicht von ungefähr.

Kia EV6 GT (2022): Erste Mitfahrt

Dabei war so viel Leistung auf der E-GMP-Plattform erst gar nicht vorgesehen. "Da haben wir einfach Glück gehabt", bestätigt Biermann im Gespräch auf den ersten ruhigen Metern im Eco-Modus raus aus Frankfurt am Main. Die Siliziumcarbid-Inverter (hier im Detail beleuchtet) mit geringerem Innenwiderstand entwickeln aber weniger Hitze. Trotz der hohen Spannung von 800 Volt. Und so lassen sich nicht nur effiziente Antriebe trotz permanenterregter Motoren bauen, sondern durch Erhöhung der Stromstärke auch ... nun ja ... leistungsstarke Antriebe.

Dämpferkontrolle und Sperrdifferenzial

Mittlerweile haben wir die erste Autobahnauffahrt erreicht und Biermann wechselt in den Normal-Modus. Schon hier lässt sich die elektronische Dämpferkontrolle (ECS nennt Kia dieses System) erfahren. Wankneigungen in Kurven werden reduziert, das Aufbäumen bei starker Beschleunigung und das Eintauchen beim Bremsen minimiert. GT-Charakter und viel Komfort stellt sich ein. Für Grip ohne Ende sorgt zudem das elektronische Sperrdifferenzial (e-LSD), das das Drehmoment an die Räder mit der stärksten Bodenhaftung schickt.

Kia EV6 GT (2022): Erste Mitfahrt

Und wie der EV6 GT beschleunigt. Auf dem Papier geht es aus dem Stand in 3,5 Sekunden auf Tempo 100. Doch auch die Elastizität von 80 auf 140 km/h oder von 100 auf 180 km/h ist immer wieder beeindruckend und nahezu ohne Verluste (wir erinnern uns an die Siliziumcarbit-Inverter mit wenig Hitzeentwicklung) unglaublich oft reproduzierbar. So geht es als es der Verkehr endlich zulässt im mittlerweile angewählten GT-Modus fast bis auf die Höchstgeschwindigkeit von 260 km/h. Und uns fällt auf, dass selbst bei Fahrten oberhalb von 200 km/h der GT sehr gefällig und stabil wirkt. Unwohl fühlen wir uns jedenfalls nicht.

Spurwechsel und Drift-Modus

Dazu trägt aber natürlich auch der Pilot Biermann bei, der jenseits der ökonomisch sinnvollen 150 km/h zackige Spurwechsel mit dem EV6 durchführt und dabei entspannt über den Drift-Modus referiert. Auf öffentlichen Straßen würde dieser Modus natürlich wenig Sinn machen und damit man ihn nicht versehentlich aktiviert, ist die Prozedur des Anschaltens ähnlich kompliziert wie bei anderen Modellen mit gefährlichen Funktionen. Wir haben es uns nicht im Detail gemerkt, aber Sie müssen das ESP deaktivieren, in den GT-Modus wechseln, die Bremse treten und die Schaltwippen ziehen, damit die Hinterräder bei der Antriebskraft bevorzugt werden.

Für unsere eigene Testfahrt werden wir die genaue Abfolge versuchen auswendig zu lernen. Obwohl Biermann zugibt, dass die Seitwärtsbewegungen, die die Elektronik dann möglich machen sollen, auch nur bis zu einem gewissen Grat ausgereizt werden können. Wird der Winkel zu groß, greift der EV6 GT trotzdem noch ein, um schlimmere Konsequenzen zu verhindern.

Pragmatismus und Komfort

Denn trotz der fuchsteufelswilden Fahrleistungen soll das Modell weiterhin ein gemütlicher und schneller Gran Turismo bleiben. Mit 480 bis 1.260 Liter Ladevolumen (+ 20 Liter im Frunk) und einem tollen wie schick anmutendem Raumgefühl samt einfacher Bedienbarkeit. Die Reichweite litt bei so viel Performance allerdings ein bisschen. Maximal 424 km sollen mit dem aus den anderen Modellen bekannte 77,4 kWh-Lithium-Ionen-Polymer-Akku möglich sein. Zum Vergleich: Das Long Range-Modell schafft laut Datenblatt über 500 km.

Bildergalerie: Kia EV6 GT (2022): Erste Mitfahrt

Wenn Sie allerdings wie Biermann auf unserer Testrunde fahren, dürften von den 424 km maximal 250 km übrig bleiben. Nachgeladen kann dann aber durch die 800-Volt-Technik theoretisch von 10 bis 80 Prozent in unter 20 Minuten. Und das theoretisch dürfte beim EV6 GT weniger theoretisch sein, als noch bei den ersten EV6-Modellen, denn Kia versieht den GT als erstes Derivat der Baureihe (alle anderen EV6 bekommen diese Funktion dann aber auch) mit einer Vorkonditionierung der Batterie. Bei 50 kW-Ladeleistung an der Säule warten, bis sich der Akku für mehr Stromstärke bereit fühlt? Das sollte so der Vergangenheit angehören.

Noch in diesem Jahr soll das Modell also auf Porsche-Taycan- oder Tesla-Model-S-Jagd gehen. Auch mit dem erhöhten Preis von knapp 70.000 Euro ist das Auto noch deutlich günstiger als diese: Den von der Sprintzeit her vergleichbaren Taycan GTS gibt es erst ab mehr als 130.000 Euro, den Tesla gibt es derzeit nur als Plaid für fast 140.000 Euro. Ein Tesla Model 3 liegt da etwas drüber und ein Taycan 4S mit 420 kW und schlechteren Fahrleistungen sprengt da bereits die 100.000-Euro-Marke. Ein Model 3 Performance allerdings gibt es ebenfalls etwa ab 70.000 Euro.