780 Kilometer! Das ist die maximale Reichweite, die Mercedes für den EQS 450+ angibt. Die 450+ Variante (nur Hinterradantrieb) kommt somit weiter als alle anderen EQS-Modelle! Die Reichweitenangabe ist allerdings relativ unrealistisch. Würde man dauerhaft im Stadtverkehr, nie schneller als 50 oder 60 km/h fahren, erscheinen 780 Kilometer mit einer Ladung möglich.
In der Realität kommt das allerdings nicht vor. Bei einem WLTP-Verbrauch von 16,2 kWh auf 100 Kilometern ergibt sich eine Reichweite von 665 Kilometern (Batterie: 107,8 kWh netto). Umsichtige Fahrer sollten in der Lage sein, diesen Wert zu erreichen.
Aber was, wenn Sie kein umsichtiger Fahrer sind? Was, wenn Sie nicht sonderlich auf den Verbrauch und die Fahrweise achten und einfach nur von A nach B wollen? Ich habe das auf einer Autobahn-Testfahrt über 396 Kilometer getestet (Außentemperatur: 25 – 30 Grad). Die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 97 km/h. Dabei fluktuierte die zeitweise gefahrene Geschwindigkeit zwischen 80 km/h in Baustellen und zirka 150 km/h auf freier Strecke. Keine Raserei also, sondern normales Fahren ohne explizit auf den Verbrauch zu achten.
Reichweite auf der Autobahn
Das Ergebnis ist ein Durchschnittsverbrauch von 20,5 kWh und eine maximale Reichweite von 526 Kilometern mit einer Ladung. Das liegt zwar über den WLTP-Werten, aber trotzdem im vertretbaren Rahmen – vor allem weil es sich um den Autobahnverbrauch handelt!
Eine reale Reichweite über 500 Kilometer (bei höheren Geschwindigkeiten) schaffen zur Zeit nicht allzu viele Elektroautos. Klar, das liegt natürlich auch an der Batteriegröße! 107,8 kWh sind reichlich und notwendig für ein Auto wie den EQS! Die Limousine misst 5,2 Meter in der Länge und wiegt 2.480 Kilo!
Mit einem cW-Wert von 0,22 windschlüpfelt der EQS widerstandsarm voran! Das Verstellen der Rekuperationsstufen hilft zusätzlich bei der Effizienz. Die meiste Zeit habe ich per Schaltwippe die Segelfunktion aktiviert.
Unterschiede bei den Fahrmodi
Wer weniger selbst machen möchte, kann sich auf die intelligente Rekuperation verlassen. Mit Hilfe des Eco-Assistenten schaufelt das System situationsabhängig und unter Berücksichtigung von Verkehrslage und Topographie Energie zurück in die Batterie. Die maximale Rekuperationsleistung beträgt übrigens 186 kW.
Der Fahrmodus meiner Wahl ist Comfort. Der Eco-Modus verwandelt den 333-PS-EQS bewusst in eine erstaunlich lahme Ente. Der Gaspedalweg wird lang, der Widerstand groß und plötzlich scheint sich der Wagen doppelt so schwer anzufühlen. Hier wird sogar das Überholen eines LKW zu einem etwas langatmigen Prozess.
Der Comfort-Modus (und erst Recht der Sport-Modus) vermitteln hingegen keinen Kraftmangel. Die 568 Newtonmeter packen ansatzlos an der Hinterachse zu und in 6,2 Sekunden stehen 100 km/h auf dem digitalen Tacho. Schluss ist bei 210 km/h.
Schnellladen und kostenloses Laden
Etwas länger als die Beschleunigung dauert das Laden der Batterie: Von null bis 80 Prozent vergehen 31 Minuten. Ein guter Wert! Die maximale Ladeleistung von 200 kW konnte ich sogar in der Praxis erleben (Ionity-Schnellladesäule). Allerdings waren die Bedingungen mit Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad auch optimal.
Übrigens: Mit Ionity Unlimited können alle europäischen Kunden von Mercedes me Charge das Schnellladenetz ab Aktivierung ein Jahr lang ohne Ladekosten nutzen. Das klingt verlockend, Man muss sich jedoch im Klaren sein, dass man mit der Anschaffung eines EQS kein Schnäppchen macht! Der 450+ kostet in der Basis 107.326,10 Euro.
Das sind die Schwächen
In Anbetracht des Preises gibt es auch ein paar Kritikpunkte: Vor allem im Innenraum wirkt der EQS wie eine niedrigere Fahrzeugklasse. Abgesehen vom größeren Platzangebot ist ein EQS kaum von einem EQE zu unterscheiden. Die Ausstrahlung, die beispielsweise eine S-Klasse besitzt, fehlt der E-Limousine.
Hinzu kommen gewisse Kleinigkeiten beim Navi. Interessanterweise zeigt es die Standorte von Tankstellen an. Vielleicht, falls man sonntags einkaufen möchte? Wunderbarer Weise präsentiert das Navi auch Ladestationen. Aber… beim Navigieren langer Routen können keine "weit" entfernten Ladesäulen angezeigt werden. Der Radius für die Anzeige scheint sich auf zirka 200 Kilometer um den eigenen Standort zu beschränken.
Innerhalb dieses Radius kann es vorkommen, dass manche Säulen (besonders AC-Ladesäulen) nicht angezeigt werden, obwohl sie existieren. Bei den DC-Säulen funktioniert die Übersicht hingegen sehr gut. Diese "Schwachstellen" könnten womöglich durch zukünftige Softwareupdates beseitigt werden.
Die Sache mit dem Bremsen
Was zusätzlich irritiert ist das Verselbstständigen des Bremspedals! Bei aktiver Rekuperation wandert das Pedal von alleine zum Bodenblech, auch wenn die Bremsscheiben keine Arbeit verrichten müssen. Eine ungewöhnliche technische Lösung von Mercedes, die bei anderen E-Auto-Herstellern keine Anwendung findet.
Generell lässt das Bremsgefühl des EQS etwas zu wünschen übrig. Der Übergang von Rekuperation zu mechanischer Bremse erfolgt spürbar stufig, worunter die Dosierbarkeit des Bremspedals leidet.
Fazit: 7 /10 Punkten
Betrachtet man den EQS 450+ "nur" als Elektroauto, ist er hervorragend! Reichweite, Effizienz und Ladegeschwindigkeit ergeben ein Gesamtpaket, so alltagstauglich und souverän, das sich die Frage nach einer Verbrenner-Alternative erübrigt.
Aber: Bedenkt man, dass Mercedes mit dem Anspruch "das Beste oder Nichts" wirbt, offenbaren sich Punkte, bei denen Mercedes diesem Anspruch nicht in Gänze gerecht wird.
Einige dieser Punkte habe ich bereits erwähnt. Hinzu kommt, dass die verwendeten Materialien (Hartplastik) an einigen Stellen nicht zum Premiumanspruch und Preis passen. Um wirklich das "Beste" zu bekommen, bedarf es wahrscheinlich einer Maybach-Version des EQS!?
Bildergalerie: Mercedes EQS (2022) im Test
Mercedes EQS 450+