Gut 4,70 Meter lang und 430 kW (585 PS) stark: Das klingt verdächtig nach einem Tesla. Von wegen! Kia haut bei dem EV6 GT als Topversion der Baureihe in Sachen Leistung auf den Putz. Wie fühlt sich das an? Wir konnten eine Runde drehen.

Was ist das?

Sehen wir uns zunächst die Fakten an: Der Hersteller bezeichnet den Kia EV6 GT als "Hochleistungs-Crossover". Optisch kommt die Baureihe deutlich aggressiver daher als ihr technischer Bruder, der Hyundai Ioniq 5. Die Änderungen zu den zivileren EV6 sind aber dezent. Die 21 Zoll großen Leichtmetallfelgen verweisen auf den sportlichen Charakter, hinzu kommen neonfarbene Bremssättel. Prägende Elemente des Heckdesigns sind der flügelartige Dachspoiler sowie der speziell gestaltete GT-Stoßfänger inklusive Diffusor.

Kia EV6 GT (2022) im Kurztest
Kia EV6 GT (2022) im Kurztest

Innen nehme ich auf schwarzen Schalensitzen mit veganen Bezügen in Wildlederoptik Platz und blicke auf Metallapplikationen mit GT-Schriftzug und neonfarbene Akzente. Ein Streifenmotiv ziert das Armaturenbrett und die Mittelarmlehne vorn. Markant sind die zwei nahtlos miteinander verbundenen, gewölbten 31,2-cm-Bildschirme (12,3 Zoll). Was mir auf allen Plätzen im EV6 GT auffällt, ist das enorme Platzangebot. 2,90 Meter Radstand machen es möglich. Abzüge gibt es für die nur mäßigen Sichtverhältnisse.

480 Liter passen in den Gepäckraum. Werden die Sitze der zweiten Reihe umgeklappt, wächst das Gepäckraumvolumen auf bis zu 1.260 Liter. Vorn unter der Haube befindet sich mit dem "Frunk" ein weiterer, 20 Liter fassender Stauraum.

Kia EV6 GT (2022) im Kurztest
Kia EV6 GT (2022) im Kurztest

Die Entwicklung des EV6 GT begann Anfang 2020, die Feinabstimmung des Fahrwerks startete im April 2021. Obwohl der EV6 GT ausschließlich für den Straßeneinsatz entwickelt wurde, wurden auch auf der berühmten Nordschleife des Nürburgrings Testfahrten durchgeführt.

Wie fährt er sich?

Im Vergleich zum ebenfalls zweimotorigen EV6 AWD wurde die Leistung erheblich gesteigert. Das liegt vor allem am Heckmotor des GT, der um 63 Prozent stärker ist als das hintere EV6-Triebwerk. Der EV6 GT beschleunigt in nur 3,5 Sekunden auf Tempo 100. Soweit die Theorie. In der Praxis ist der Schlüssel zur maximalen Dynamik der spezielle GT-Modus, der über eine neonfarbene Taste rechts unten auf dem Zweispeichen-Lenkrad aktiviert wird. 

Schon in den Fahrmodi Eco, Normal und Sport werden dank des sportlichen Konzepts und des niedrigen Schwerpunkts unerwünschte Karosseriebewegungen wirksam unterbunden.  Der GT-Modus wählt für Elektromotoren, Bremsen, Lenkung, Dämpfer, Sperrdifferenzial und das elektronische Stabilitätsprogramm (ESC) automatisch die jeweils dynamischste Einstellung (Sport oder Sport+). 

Kia EV6 GT (2022) im Kurztest
Kia EV6 GT (2022) im Kurztest

Um eine möglichst enge Verbindung zur Straße zu schaffen, lässt das Stabilitätsprogramm im GT-Modus mehr Radschlupf zu. Der Fahrer kann es auch vollständig deaktivieren, wenn ein höheres Übersteuerungspotenzial gewünscht ist. Er kann sogar noch einen Schritt weitergehen und das Übersteuern ganz bewusst provozieren, indem er einen speziellen Drift-Modus aktiviert.

Dadurch wird ein größerer Teil der Antriebskraft – bis zu 100 Prozent – an die Hinterräder geleitet, was uneingeschränkte Seitwärtsbewegungen ermöglicht. Am Kurvenausgang lässt sich dann wieder mehr Kraft auf die Vorderräder übertragen, um die Beschleunigung zu verbessern.

Also die Neon-Taste gedrückt und den Fuß auf das Fahrpedal ... HEIDEWITZKA, HERR KAPITÄN! War der (leider nicht allzu wendige) EV6 GT schon im Normalbetrieb flott unterwegs, sauge ich jetzt die Straße mit Warp-Geschwindigkeit ein. Der Porsche Taycan des kleinen Mannes? Da ist was dran. Nur am Rande: Ein Taycan GTS ist 0,2 Sekunden langsamer.

Kia EV6 GT (2022) im Kurztest

Damit ist der Kia EV6 GT bis zu einem Ioniq 5 N oder Ioniq 6 N das sprintstärkste Modell in der gesamten Hyundai Motor Group, zu der Kia gehört. In der Spitze erreicht er 260 Stundenkilometer. Mit einer Akkuladung kann er bis zu 424 Kilometer zurücklegen (kombinierter Zyklus, nach WLTP), und in nur rund 18 Minuten lässt sich die Batterie an einer entsprechend leistungsfähigen Schnellladestation von 10 auf 80 Prozent aufladen.

Wo gibt es Unterschiede zum normalen EV6?

Zur hohen Leistungsfähigkeit des EV6 GT tragen verschiedene Innovationen innerhalb des Heckmotors bei, unter anderem die "Hairpin"-Technologie der Statorspulen, die Energieverluste reduziert und das Ansprechverhalten bei hohen Geschwindigkeiten verbessert. Ein unkonventioneller zweistufiger Inverter (Wechselrichter) ermöglicht die außergewöhnliche Kraftentfaltung des Triebwerks. Das Leistungsmodul des Inverters, das den Motor steuert, arbeitet mit Siliziumkarbid-Halbleitern (SiC) und erhöht die Systemeffizienz um etwa zwei bis drei Prozent.

Beim Heckmotor des EV6 reduziert eine externe Wasserkühlung die Temperatur des Motorgehäuses. Beim Motor des EV6 GT besitzen darüber hinaus die Spulen eine eigene Ölkühlung. Dadurch kann die Motortemperatur auch bei extremen Bedingungen sowie bei längerem Fahren mit hoher Geschwindigkeit stabil gehalten werden.

Kia EV6 GT (2022) im Kurztest
Kia EV6 GT (2022) im Kurztest

Die Hochleistungsbremsanlage arbeitet nahtlos mit dem regenerativen Bremssystem zusammen, das beim EV6 auf eine maximale Rekuperationsleistung von 150 kW kalibriert ist. In Kombination mit dem aktiven Bremssystem des GT erzielt es Spitzenwerte von über 300 kW. 

Der EV6 GT kann dank seiner modernen Ladetechnologie auch als Stromquelle genutzt werden. Denn seine integrierte Ladekontrolleinheit (Integrated Charging Control Unit, ICCU) beinhaltet eine „Vehicle-to-Device“-Funktion (V2D), die es ermöglicht, Strom mit einer Leistung von bis zu 3,6 kW aus der Fahrzeugbatterie zu entnehmen.

Dazu wird der Ladeanschluss des Fahrzeugs durch einen einfachen Adapter in eine Steckdose verwandelt, an die sich zum Beispiel Haushaltsgeräte oder E-Bikes anschließen lassen und über die sogar andere Elektrofahrzeuge aufgeladen werden können.

Und was wird er kosten?

Das ist vorerst noch offen. Bislang liegt der teuerste EV6 bei rund 65.000 Euro mit allen Extras, der GT dürfte knapp darüber losgehen. Exakt 69.990 Euro wird der EV6 GT kosten: Damit ist der Preis 4.000 Euro höher als vor einem Jahr avisiert. Das klingt nach viel, es sind immerhin sechs Prozent – angesichts der derzeitigen Inflation ist das aber wohl noch moderat. Die Produktion startet im September, die ersten Auslieferungen in Europa sind für Ende des Jahres geplant.

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