Kennen Sie das Kindchen-Schema? Vereinfacht gesagt: Wer niedlich aussieht, dem fliegen die Herzen zu und ihm wird alles verziehen. So auch dem Microlino. Das winzige Elektrofahrzeug kommt nun endlich auf den Markt und auch nach Deutschland. Doch was kann der Microlino abseits seiner knuffigen Optik? Wir konnten ihn fahren und haben es herausgefunden.

Was ist das?

Die Entwicklung des Microlino wurde fast zur unendlichen Geschichte – zum Glück mit Happy End. Die Firma Micro aus der Schweiz verdankt ihren Erfolg hochwertigen Tretrollern für Erwachsene. 2015 entstanden die ersten Entwürfe für den Microlino, 2016 zeigte man eine Studie auf dem Genfer Autosalon. Aufgrund der enormen positiven Resonanz wurde das Fahrzeug zur Serienreife entwickelt.

Doch dann gab es einen unschönen Rechtsstreit mit dem ersten Produktionspartner. Micro machte aus der Not eine Tugend und entwickelte von Grund auf einen neuen Microlino 2.0 mit selbstragender Karosserie statt Rohrrahmen. Dann kam Corona dazwischen, doch seit 2022 rollt das Ei auf Rädern mit viel Handarbeit vom Band.

Microlino (2023) im Test
Microlino (2023) im Test

Optisch wirkt der Microlino sehr vertraut. Kein Wunder, ähnelt die Optik doch stark der legendären BMW Isetta aus den 1950er-Jahren. Deren Designpatente sind natürlich längst ausgelaufen, zudem stammten sie von der italienischen Firma Iso. Der spätere Sportwagenbauer verkaufte BMW eine Lizenz, daher auch der Name Isetta. 

Durch die Fertigung des Microlino in Turin schließt sich in gewisser Weise ein Kreis. Aktuell entstehen in der CECOMP-Fabrik zehn Fahrzeuge pro Tag, bald sollen es 20 sein. Im Jahr 2023 werden gut 4.000 Fahrzeuge vom Band rollen, im Zweischicht-Betrieb wären bis zu 10.000 Einheiten möglich. 

Innenraum und Platzangebot

So weit, so gut. Sehen wir uns das Auto näher an. Sagte ich gerade Auto? Schwerer Fehler! Zwar trägt er normale Nummernschilder, aber der Microlino ist ein Leichtfahrzeug der europäischen Klasse L7e, was seine Macher nachdrücklich betonen. Damit reiht er sich beim Opel Rocks-e oder dem Renault Twizy ein, punktet aber mit einer für L7e ungewohnten selbsttragenden Karosserie. Das sorgt für mehr Sicherheit, treibt aber auch den Preis nach oben, wie wir noch sehen werden. Ein Airbag ist nicht vorgeschrieben, ihn suche ich im kleinen Sportlenkrad vergeblich.

Microlino (2023) im Test
Microlino (2023) im Test

Was fällt beim ersten Blick auf? Klein ist der Microlino, ausgesprochen klein: 2,52 Meter lang, 1,47 Meter breit, 1,50 Meter hoch. Ein eiförmiger Würfel auf Rädern für die Stadt also. Das macht schon die Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h deutlich. Autobahn? Maximal für eine oder zwei Ausfahrten. Im übrigen steht der Microlino auf 13-Zoll-Rädern.

Ich stehe vor dem Microlino und überlege, wie die große Fronttür im Kühlschrank-Stil aufgeht. Einen Griff gibt es außen nicht. Am Schlüssel entriegeln, dann einen Knopf unter dem linken Außenspiegel drücken. Wie von Zauberhand gleitet die Tür hoch. Ich krabbele hinein und ziehe an der Schlaufe innen, schlage die Tür aber nicht zu, denn sie schließt elektrisch per Soft-Close.

Die Sitzbank kann in der Länge verschoben werden, ich sitze mit meinen 1,88 Meter aber recht gut hinter dem Lenkrad. Vielleicht eine Spur zu hoch, da der nur manuell zu verstellende Außenspiegel im Scheinwerfergehäuse nicht wirklich in meinem Blickfeld liegt. Ans Bein schmiegt sich der Radkasten, auf der Fahrerseite thront dort der Drehknopf für die Automatik. Schön wäre für den linken Arm eine Ablage, jedoch befindet sich dort der Hebel der Handbremse. 

Microlino (2023) im Test

Einen Innenspiegel suche ich vergebens, fände einen solchen aber hilfreich. Damit stehe ich wohl nicht alleine, die Väter des Microlino versprechen Abhilfe per Saugnapf. Wie sieht es mit dem generellen Platzangebot aus? Besser als erwartet: Zwei Personen können gut auf der Bank sitzen, wenngleich es dort kuschelig wird. Der Microlino ist eben schmal. Gemessen am Format des Fahrzeugs ist der Kofferraum durchaus stattlich: 230 Liter oder drei Kisten Wasser. Oder ein Hund.

Und sonst so? Ein kleines Display hinter dem Lenkrad für Batteriestand, Tempo und Rekuperation. Rechts daneben kleine längliche Touch-Anzeigen für die Lüftung sowie Heizung der Heckscheibe und Öffnung der Heckklappe. Eine Klimaanlage gibt es natürlich nicht, lediglich die schiebbaren Seitenfenster und ein manuell betätigtes Faltdach sorgt für frische Luft. Und navigiert wird per Smartphone.    

Microlino (2023) im Test
Microlino (2023) im Test

Durchaus erfrischend in Zeiten von Bildschirm-Orgien bei fast drei Tonnen schweren Elektro-SUVs. Zum Vergleich: Ohne Batterien wiegt der Microlino gerade einmal 435 Kilogramm. Die Anmutung innen wird von Hartplastik und simplen Lösungen dominiert, Stoff wertet das Ambiente auf. 

Wie fährt er sich?

Nun aber los! Schon nach den ersten Metern dringt ein deutliches Fahrgeräusch ans Ohr. Es erinnert mich spontan an eine Straßenbahn. Leise ist der Microlino nicht, zumal die Form und die Größe nicht viel Dämmung zulassen. Stets ist das Elektro-Summen präsent, bei Regen zieht der einzelne Scheibenwischer deutlich vernehmbar seine Bahnen. das Thema NVH (Noise, Vibration, Harshness) ist den Machern durchaus bewusst. Die Begleitmusik stamme vom Getriebe, man suche bereits nach einem anderen Zulieferer. 

Abgesehen von der Geräuschkulisse fühlt sich der Microlino in der Stadt natürlich ziemlich wohl. Hier gehört er hin, hier zieht er die Blicke auf sich. Gewöhnungsbedürftig für den Fahrer: Vor den Beinen endet das Fahrzeug bereits und man muss trotz eigentlicher guter Rekuperation recht stark auf die Bremse treten. Lässiges One-Pedal-Driving ist nicht drin. Und im Stand muss man mangels Servo doch stärker am Lenkrad kurbeln.

Microlino (2023) im Test
Microlino (2023) im Test

Angetrieben wird der Microlino von einem Elektromotor im Heck, der eine Leistung von 12,5 kW (17 PS) und ein maximales Drehmoment von 89 Nm entwickelt. Klingt wenig, ist aber für die Stadt vollkommen ausreichend. Flott geht es in Richtung 50 km/h, raketengleiche Porsche-Taycan-Beschleunigung sollte man aber trotz vorhandenem Sport-Modus nicht erwarten.

Der Stromverbrauch nach WLTP liegt laut Hersteller je nach Akkugröße zwischen 5,9 und 6,6 kWh auf 100 Kilometer. Den Microlino gibt es mit drei Batterievarianten, stets Lithium-Ion: 6 kWh für 91 km Reichweite in der Basis, 10,5 kWh in der mittleren Ausführung für bis zu 177 km und als größte Lösung 14 kWh für maximal 230 km.

An Bord ist ein Typ-2-Stecker, mit dem entsprechenden Kabel kann der Microlino an AC-Ladestationen und Wallboxen wie auch an einer Haushaltssteckdose aufgeladen werden. Der Onboard-Charger verfügt über eine Leistung von 2,6 kW (1,3 bei der kleinsten Batterie), damit ist ein leerer Akku in drei bis vier Stunden wieder zu 80 Prozent aufgeladen. Eine DC-Schnellladefunktion ist angesichts der kleinen Akkus nicht vorgesehen. 

Microlino (2023) im Test
Microlino (2023) im Test

Was fällt bei längerem Fahren noch auf? Nunja, viel Federungskomfort ist bei knapp 1,57 Meter Radstand nicht vorhanden. "Schlaglochsuchgerät" kommt mir spontan in den Sinn. Zumindest werden Kopfsteinpflaster und Schlaglöcher nach innen weitergereicht. Da kann es auf der nur maßvoll gepolsterten Sitzbank auch schon mal im Rücken zwicken.

Was kostet er?

Recht heftig zwickt auch die Preisgestaltung, zumal der Microlino wegen L7e in Deutschland nicht die staatliche Umweltprämie für Elektroautos bekommt, sondern bestenfalls lokale Förderungen. Zum Marktstart in Deutschland ist zunächst die üppig ausgestattete Pioneer-Edition in 400 Exemplaren verfügbar. Sie bietet LED-Scheinwerfer, die LED-Leiste an Front und Heck und ist in "Atlantis Blue" oder "Torino Aluminium" erhältlich. Preis: ab 22.690 Euro, bestellt werden kann online.

Später folgen das Einstiegsmodell "Urban" sowie die farbenfroheren Varianten "Dolce" und "Competizione". Ihre Auslieferung startet voraussichtlich Ende 2023. Als dann preiswertester Microlino verfügt der Urban nur über die 6-kWh-Batterie und ein geschlossenes Dach (Aufpreis Faltdach: 590 Euro), kostet aber immer noch mindestens 17.690 Euro.

Microlino (2023) im Test
Microlino (2023) im Test

Die Edition Dolce (ab 19.690 Euro) wird mit allen drei Batterievarianten erhältlich sein, für den Competizione (ab 21.690 Euro) stehen die mittlere und die große Batterieversion zur Wahl. Der Aufpreis für die nächstgrößere Batterie beträgt jeweils 1.500 Euro. Nicht gerade ein Schnäppchen, wenn man auf den vollwertigeren Dacia Spring schaut, mit dem man sich auch mal auf die Autobahn wagen kann. Abzüglich aller Prämien beginnt dieser schon bei 16.000 Euro. Und schon ab 14.000 Euro gibt es den kleinen Ari 902.

Bis Ende 2023 will die Firma Astara als Vertriebspartner mehrere Schauräume in Deutschland haben, darunter München, Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Stuttgart, Hamburg und Leipzig/Erfurt. Zudem soll das Service-Netzwertk ausgebaut werden.

Fazit:

Für den Microlino gilt das alte Porsche-Motto "Keiner braucht ihn, jeder will ihn". Gewiss ist er konstruktiv der König unter den Leichtfahrzeugen, doch zu einem hohen Preis. Rational gesehen ist ein Dacia Spring die bessere Wahl, aber fliegen Ihnen damit die Sympathien zu? Im Fall des retrotastischen Elektro-Eis siegt das Herz über den Verstand. Und der Microlino hat bereits eine große Fangemeinde.

Als Stadtflitzer für Pflege- und Pizzadienste ist der Microlino wohl zu teuer, bietet sich aber außerhalb dessen als perfekter Werbeträger an. Denn Blicke sammelt er im Überfluss. Wer sich verliebt hat, könnte gut beraten sein, noch zu warten. Sukzessive wird der Microlino optimiert und vielleicht ja bei steigender Produktion preiswerter.

Und global? Europa hat man fest im Blick. Ähnlich wie das Überraschungs-Ei aus Schokolade gibt es den Microlino aber vorerst (noch nicht) in den USA. Das kann jedoch passieren, dürfte aufgrund anderer Zulassungsvorschriften aber noch etwas dauern, wie es heißt.

Bildergalerie: Microlino (2023) im Test

Microlino (2023)

Leistung 12,5 kW (17 PS)
Max. Drehmoment 89 Nm
Antrieb Hinterradantrieb
Getriebeart Eingang-Getriebe
Höchstgeschwindigkeit 90 km/h
Länge 2.519 mm
Breite 1.473 mm
Höhe 1.501 mm
Kofferraumvolumen 230 Liter
Batterie 6 kWh/10,5 kWh/14 kWh
Elektrische Reichweite 91 km/177 km/230 km
Ladeanschluss AC (Typ 2) maximal 2,6 kW
Aufladezeit 3 bis 4 Stunden
Basispreis 17.690 Euro (ohne Prämien, ab Ende 2023)
Preis der Testversion 22.690 Euro