Was ist das? 

Als Elektroauto-Afficionado werden Sie diesen etwas krumm gezeichneten Gelbling inzwischen sicher recht gut kennen: Genesis GV60, die jetsetigere Verwandschaft von Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6, wenn Sie so wollen. Letztere wurden bisher ja großzügig mit Lob überschüttet, was in erster Linie daran liegt, dass dem mächtigen Mutterkonzern Hyundai Motor Corporation mit seiner E-GMP-Plattform ein wahres Husarenstück gelungen ist. 

Auch der Genesis GV60 profitiert von der meisterlich durchdachten 800-Volt-Basis, welche die Konkurrenz, auch die aus dem deutschen Premium-Lager, derzeit noch relativ blöd aus der Wäsche blicken lässt. Wie die Südkoreaner ein derartiges Tech-Feuerwerk zu so einem Preis anbieten können, das wüssten Sie in Ingolstadt, Stuttgart, Wolfsburg und Co. wahrscheinlich auch gerne.

Wie dem auch sei: Hierzulande spart sich die Konzern-Nobel-Marke die muffige Einstiegsversion und geht direkt in die Vollen: Ohne zwei Motoren, Allrad und die große 77,4-kWh-Batterie kriegen Sie den GV60 bei uns überhaupt gar nicht. Sie können sich lediglich aussuchen, ob Ihnen schnell (Sport: 318 PS/605 Nm) oder sehr schnell (Sport Plus: 483 PS/700 Nm) übel werden soll.

Genesis GV60 (2022) im Test
Genesis GV60 (2022) im Test

Der Aufschlag für 86 kW mehr Dampf an der Vorderachse beträgt übrigens gut 10.000 Euro. Klingt ziemlich gemein, allerdings verfügt der Sport Plus serienmäßig über Adaptiv-Dämpfer mit Straßen-scannender Vorausschau-Funktion. Und er hat einige  - böse Zungen würde behaupten: hochgradig unnütze - Delikatessen an Bord, die es beim Sport gar nicht gibt.

Eine Boost-Modus etwa, der die Leistung der beiden Maschinen für 10 Sekunden von 160 auf je 180 kW anhebt. Außerdem verfügt er über einen Driftmodus, weil das bekanntermaßen unabdingbar ist für einen elektrischen Mittelklasse-Crossover. Und wenn Sie knapp 1.400 Euro zahlen, kriegen Sie hier auch digitale Außenspiegel. Ohne Aufpreis kriegen Sie richtiges Leder, beim Sport ist es aus Kunst. Ob Ihnen das gut 12 bis 14 Monatsraten wert ist, entscheiden Sie bitte selbst. 

Mir hat Genesis die Entscheidung gottseidank abgenommen und einen Sport Plus mit allen erdenklichen Schikanen (glücklicherweise ohne die Bildschirm-Außenspiegel) im sehr sehr gelben "Sao Paolo Lime" (870 Euro) in die Redaktionsgarage hineingeparkt. 

Der Kollege Lehbrink fuhr das gute Stück bereits beim Launch-Termin im vergangenen Mai. Er war überaus angetan, wie Sie diesen Zeilen entnehmen können. Allerdings war es da fast schon Sommer, es ging ein paar Stunden über traumhaftes Geläuf, man musste sich keine Gedanken über Reichweiten machen und dann stellte man den E-Hobel wieder vors Event-Gebäude und machte sich beschwingt vom Acker. 

Ich hatte das Auto nun zwei Wochen im Alltagscheck. Im .. naja .. "Winter". Mit allem, was der einem Elektroauto so an Gängelung entgegenwirft. 

Und, immer noch alles eitel Sonnenschein?

Ja und nein. Doch zuerst ein paar Gedanken zur Positionierung des GV60. Dass das erste eigenständige E-Auto von Genesis als gut 4,50 Meter langer Crossover (ein SUV ist er ja nun wirklich nicht bei einer Bodenfreiheit von 160 mm) auf den Markt geschmissen wird, macht ja aus Absatz-Sicht durchaus Sinn.

Nur sind jetzt halt alle anderen Genesis wie etwa der G80, der G70 Shooting Brake oder auch die beiden SUVs GV70 und GV80 so wahnsinnig schön und elegant und der GV60 ist das irgendwie überhaupt gar nicht. Als gäbe es da ein ungeschriebenes Gesetz, dass man über ein neues E-Auto grundsätzlich den "Generation-Z-Anbiederungsfilter" drüberhauen muss.

Genesis GV60 (2022) im Test

Außen und innen, wohlgemerkt. Die Qualität stimmt natürlich, das war nicht anders zu erwarten. Aber das Ambiente würde durchaus mehr markentypische Grandezza vertragen. Jetzt könnte man freilich auch einen GV70 kaufen, der fährt ja inzwischen auch rein elektrisch. Aber halt nicht auf der sauguten E-GMP-Plattform, sondern mehr so ins bestehende Verbrenner-Konstrukt hineingepfriemelt. Das gilt es zu berücksichtigen.

Ja aber wie war es denn nun mit dem GV60?

Nun, es war gut, aber dann auch wieder nicht so gut. Der erste kleine Schock passierte ja direkt nach der Anlieferung. Mein Premieren-Druck auf den Startknopf rechts hinterm Lenkrad erweckte natürlich die Digital-Instrumente vor mir und zeigte eine Restreichweite von 235 Kilometer. Obwohl der Überbringer des Gefährts so freundlich war, mir 79 Prozent Rest-Akku zu gönnen. 

Das hat jetzt mit den angegebenen 466 Kilometer WLTP-Reichweite eher wenig gemeinsam. Und an einem möglichen Harakiri-Fahrstil des Boten kann es auch nicht gelegen haben, denn ich fuhr das Auto zwei Wochen lang zu 90 Prozent gemächlich, aber der Stromverbrauch lag immer so bei 23 bis 27 kWh. 

Abgesehen vom Verbrauch funktionierte das alltägliche Gefahre allerdings ziemlich gut. Das Auto lässt innen sehr wenig Störendes von außen ans Ohr und außerdem macht die Federung einen ziemlich verheißungsvollen Job. Jetzt werden Sie sich denken: Na klar, die Dämpfer können ja auch in die Zukunft schauen. Aber das heißt nix, denn das können sie beim großen Verbrenner GV80 auch und dort schlug es manchmal dermaßen durch, dass einem Angst und Bange werden konnte. 

Genesis GV60 (2022) im Test

Hier schlug nichts durch. Trotz der monströsen 21-Zöller. Der GV60 ist keine S-Klasse, aber das wäre ja auch irgendwie seltsam. Auf der anderen Seite des Spektrums sollten Sie bitte keinen Sportwagen erwarten. Fahrdynamisch war das allenfalls solide Hausmannskost. 

Da mögen sicher die Winterreifen ihre Finger im Spiel gehabt haben, aber der GV60 wirkte an der Vorderachse recht wachsweich und etwas undefiniert. Mit deutlicher Untersteuer-Tendenz. Beim Verschleiern seines Gewichts von 2,15 Tonnen hätte ich ihm, gerade weil davon 480 Akku-Kilo ja durchaus günstig liegen, ebenfalls ein wenig mehr Geschick gewünscht. Da schießt ein Polestar 2 schon gehörig fokussierter ums Eck. Auf die Lenkung will ich allerdings nichts kommen lassen - sie arbeitet präzise, gefühlvoll und mit sehr guter Gewichtung. 

Achso ja, in Sachen Vorwärtsdrang ist der GV60 Sport Plus AWD mit seinem erheblichen Output natürlich die erwartete Bank. Gerade im Sport-Modus fühlt sich der Magen bei jedem Tritt ins Blech an, als würde er mit einer Steinschleuder in die falsche Richtung geschossen. Und das geht auch jenseits der 140, 150 km/h noch mit überraschender Vehemenz weiter. 235 Spitze schafft der gelbe Rabauke. Das kann nicht mal ein Mercedes-AMG EQS 53, zumindest nicht, wenn man nicht extra dafür gezahlt hat. 

In puncto Rekuperation ist beim GV60 auch für jeden etwas dabei. Sie erfolgt über Paddles am Lenkrad und das vierstufig. Ob Sie es komplett laufen lassen wollen oder gar keine Lust mehr haben, ein Bremspedal zu treten - geht beides. Und alles dazwischen. Sehr gut.

Wie ist er innen?

Wie erwähnt: Nicht nur äußerlich wähnt man sich nicht unbedingt bei Genesis. Einziges Überbleibsel des hauseigenen Stils irgendwo zwischen Yacht und Grand Hotel ist das aufwendig gesteppte Gestühl. Selbiges ist einen Tick zu hoch montiert und könnte durchaus etwas mehr Halt bieten. Hinten sitzt es sich sehr ordentlich. Das Raumangebot für Beine und Köpfe ist bemerkenswert in Anbetracht von 4,52 Meter Länge. Da hilft natürlich der XL-Radstand.

Auch das Kofferraumvolumen geht mit 432 bis 1.550 Liter in Ordnung. Ein Tesla Model Y bietet hier allerdings deutlich mehr. Der 20-Liter-Frunk ist eher ein Witz, wer ein bisschen stopft, kriegt aber immerhin die Ladekabel unter. 

Armaturenbrett, Türtafeln und die schwebende Mittelkonsole wirken deutlich verspielter und futuristischer als gewohnt. Das silbrige Dekor hat wenig Flair, an Verarbeitung, Ergonomie und Bedienung des Innenraums gibt es aber auch bei diesem Genesis rein gar nichts auszusetzen. Da würden viele andere Hersteller sehr gut daran tun, ein ähnliches Niveau anzustreben. 

Genesis GV60 (2022) im Test
Genesis GV60 (2022) im Test
Genesis GV60 (2022) im Test

Die Steuerung des Infotainments über Touch oder Dreh-Drücksteller gelingt hervorragend - bitte beibehalten. Genauso wie die separate Klimasteuerung mit echten, wirklichen (ja, sowas gibt es noch!) Knöpfen und Schaltern. Die Koreaner haben hier einfach eine schöne große Tasse gesunden Menschenverstand getrunken. Etwas, dass diversen deutschen Herstellern auch mal wieder gut tun würde. 

Worauf natürlich jeder als erstes schielt, ist die funky leuchtende Glaskugel in der Mitte der Mittelkonsole. Sie kann Ihnen zwar nichts über Ihre Zukunft sagen (ich habe es versucht, sie hatte keine Meinung dazu), aber sie flippt beim Start des Autos gewieft um und gibt den Gangwahlhebel frei. Genesis sieht das als kleines Elektroauto-Sicherheitsfeature. Damit man sicher weiß, dass die Motoren an sind und keine versehentlichen Missgeschicke passieren. Macht Sinn.

Ansonsten ist der Sport Plus natürlich vollgestopft mit allem, was das Herz begehrt. Die Fahrhilfen funktionieren sehr gut. Vor allem die digitalen Rückspiegel, die beim Blinken im Instrumentendisplay eingeblendet werden, sind einfach hilfreich ohne zu nerven. Einzige Extras sind hier ein Bang&Olufsen-Soundsystem sowie ein großes Panorama-Glasdach.

Fazit: 7/10

Der GV60 ist ein maximal ungewöhnlicher Genesis. Fast schon zwanghaft jugendlich, fehlen ihm die Schönheit, die Eleganz und das Ambiente, das den Rest des Modellportfolios so begehrenswert macht. 

Zudem empfand ich während meiner Zeit mit dem Auto die Reichweite als zu gering. Fahrdynamisch war der Crossover eher Durchschnitt.

Auf der Habenseite stehen neben den famosen Fahrleistungen und dem irren Ladespeed herausragende Eigenschaften bei Bedienbarkeit, Qualität und Ausstattung. Außerdem sind die Platzverhältnisse für ein Auto dieser Größe wirklich anständig. 

Ein Testwagenpreis von knapp 80.000 Euro gibt natürlich zu denken. Hier lohnt sich womöglich ein Blick auf den schwächeren, noch immer sehr schnellen Sport, der deutlich weniger kostet und hauptsächlich auf sehr verschmerzbare Ausstattungsdetails verzichtet. 

Bildergalerie: Genesis GV60 (2022) im Test

Bild von: Fabian Grass

Technische Daten und Preise Genesis GV60 Sport Plus AWD

Motor 1 PSM hinten mit 160 kW, 1 PSM vorne mit 160 kW
Leistung Systemleistung: 483 PS
Max. Drehmoment Systemdrehmoment: 700 Nm
Antrieb Allradantrieb
Beschleunigung 0-100 km/h 4,0 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 235 km/h
Verbrauch 19,1 kWh (WLTP); 26,1 (Testverbrauch)
Elektrische Reichweite 466 km (WLTP); ca. 300 km (im Test)
Batterie 77,4 kWh brutto; 74 kWh netto
Ladeanschluss AC für bis zu 11 kW; DC bis zu 350 kW
Aufladezeit 16 Minuten (10-80 %) mit DC; 7h20 mit AC
Länge 4.515 mm
Breite 1.890 mm
Höhe 1.580 mm
Leergewicht 2.145 kg
Bodenfreiheit 160 mm
Zuladung 515 kg
Anhängelast 1.600 kg
Kofferraumvolumen 432 - 1.550 Liter
Basispreis 71.010 Euro
Preis des Testwagens 79.400 Euro