Seit dem 10. August kann man den Mercedes EQS bestellen, die Auslieferungen in Deutschland begannen im September. US-Kollege Kyle Conner von InsideEVs.com hat nun eine US-Version des EQS 580 4Matic in die Finger bekommen und ein interessantes Testvideo dazu gemacht (unten in diesem Artikel).

Die Außenoptik der 5,21 Meter langen Limousine gehört zu den wenigen Dingen, die Kyle an dem Auto nicht gefallen. Da würden wir zustimmen – besonders schick ist der Wagen nicht. Die Karosserie ist zwar aerodynamisch optimal (zur Erinnerung: cW-Wert 0,20) aber ästhetisch nicht sehr überzeugend. Ein Punkt, zu dem Kyle gar nichts sagt, ist die große Heckklappe, denn die ist ein Vorteil gegenüber des S-Klasse mit ihrem kleinen Kofferraumdeckel.

Mercedes EQS 580 4Matic: Der Kofferraum

Im Innenraum freut sich Kyle über das weiße Leder (empfindlich, aber wunderschön), die weichen Kopfkissen, die Qualität des Blinkerhebels, die Ambientebeleuchtung und natürlich über den riesigen Hyperscreen. Im Video ist zu sehen, wie man das Instrumentendisplay über die Touch-Tasten links am Lenkrad konfiguriert. Die rechten Tasten steuern die Inhalte des Infotainmentdisplays in der Mitte. Die Lautstärkeeinstellung am Lenkrad ist wenig genau; und wenn man stattdessen die "Swipe"-Taste in der Mittelkonsole verwendet, muss man seltsamerweise drücken.

Ein paar Einstellungen

Per Touchscreen stellt Kyle zuerst den Kriechgang ab – denn nur dann bleibt das Auto nach dem Halt auch stehen. Außerdem deaktiviert er die 12 kleinen Elektromotoren des Touchscreens, offenbar nervt ihn die haptische Rückmeldung. Eine interessante Einstellung zum Erhöhen der Akku-Lebensdauer ist "Eco Charging", wodurch das Auto nur auf 80 Prozent (statt der standardmäßig eingestellten 90 Prozent) aufgeladen wird und die maximale Ladeleistung von 200 auf 100 kW verringert wird.

2022 Mercedes-Benz EQS 450 Interior Dashboard

Reichweiten: EPA-Werte seltsam nah beieinander

Bevor wir zu den Fahreindrücken kommen, hier noch die wichtigsten Daten der beiden Versionen:

  EQS 450+ EQS 580 4Matic
Antrieb RWD (1 PSM-Elektromotor) AWD  (2 PSM-Elektromotoren)
Leistung / Drehmoment 245 kW / 568 Nm 385 kW / 855 Nm
0-100 km/h / Spritze 6,2 Sek. / 210 km/h 4,3 Sek. / 210 km/h
Batterie (netto) 108 kWh 108 kWh
Reichweite 780 km WLTP 676 km WLTP
Aufladen AC bis 11 kW, optional 22 kW 11 kW, optional 22 kW
Aufladen DC bis 200 kW bis 200 kW
Preis 106.374 Euro 135.529 Euro

Die WLTP-Reichweiten sind sehr hoch und unterscheiden sich deutlich voneinander (um etwa 15 Prozent). Die von Kyle genannten EPA-Werte von 340 bzw. 350 Meilen liegen dagegen sehr eng beieinander (nur 3 Prozent Differenz). Ein so geringer Unterschied ist selten, vor allem wenn es sich um zwei Permanentmagnet-Motoren handelt, weil man die nicht so einfach abschalten kann wie zum Beispiel beim VW ID.4, der vorne einen Induktionsmotor hat (Reichweite der 77-kWh-Versionen hier: 518 km bei Hinterradantrieb, 482 km beim ID.4 GTX, also nur etwa 7 Prozent Differenz).

Rekuperation und das Problem mit dem Bremspedal

Der EQS bietet vier Rekuperationsmodi: D Auto, D+, D und D-, wobei in D+ laut Kyle gar keine Rekuperation stattfindet. Seltsam wird es nach seinen Angaben, wenn man die starke Rekuperation (D-) wählt. Da es sich um ein hydraulisches Bremssystem handelt, so Kyle, bewegt sich das Bremspedal dann vom Fuß weg. Wenn man versucht, das Pedal zu betätigen, fühlt es sich sehr hart an und die Bremskraft lässt sich schwer dosieren. Für Kyle ist das ein offensichtlicher Fehler der Entwickler.

Mercedes EQS 580 4Matic
Mercedes EQS 580 4Matic

Beschleunigungsgefühl: Eher zu vehement 

Kyle gibt bei 30 mph (ca. 50 km/h) Vollgas und wird sichtbar in den Sitz gedrückt. Ein Riesenunterschied zum EQS 450+, so der Testfahrer: Dort beschleunigt das Auto zügig, aber nicht so vehement. Für Kyle ist der 450+ genau richtig motorisiert, der 580 hat für ihn offenbar zu viel unmittelbar wirkendes Drehmoment.

Braucht man wirklich 1.000 PS oder mehr, wie sie ein Hummer EV oder ein Lucid Air besitzen? Kyle meint nein. Er selbst fuhr früher ein Model S P100D und hat nun ein Model 3 Performance (0-100 km/h in 3,3 Sek.), aber er fährt die Autos wie ein Opa, sagt er. Und so ist auch das entspannte Fahrgefühl das Beste am EQS, findet der Kollege.

10-Grad-Hinterradlenkung für extreme Wendigkeit 

Wirklich beeindruckt ist Kyle von der Allradlenkung, welche die Hinterräder bei niedrigem Tempo um bis zu 10 Grad einschlägt. Damit wird das Auto trotz 5,21 Meter Länge extrem wendig – ein "magisches" Gefühl auf kleinen Seitenstraßen, schwärmt Kyle. Beim Ausparken in beengten Umgebungen muss man aber bedenken, dass das Heck in eine unerwartete Richtung ausschwenkt. 

Beim Aussteigen muss man das Auto nicht unbedingt ausschalten – das tut es von alleine. Um den Wagen zu starten, ist dagegen der Startknopf in der Mittelkonsole zu drücken. Begeistert ist unser Tester davon, dass die Lüfter bei niedrigem Tempo etwas langsamer drehen, um die Lautstärke zu verringern: Dieses Detail zeigt das unglaubliche Finetuning, das die Ingenieure dem EQS verpasst haben. 

2022 Mercedes-Benz EQS 450 Interior Center Console
Mittelkonsole mit dem Startknopf in der Mitte. Der Fingerabdruck-Sensor rechts daneben dient nur zur Aktivierung des persönlichen Profils

Ladeleistung durch das 400-Volt-System begrenzt?

Wie erwähnt, kann der EQS mit maximal 200 kW geladen werden. Die Mercedes-Entwickler erzählten Kyle, man hätte auf eine hohe Maximal-Ladeleistung verzichtet und sich lieber darauf konzentriert, die 200 kW lange zu halten. Doch laut Kyle sind 200 kW so ziemlich das Maximum, was mit einem 400-Volt-System möglich ist – für mehr Ladeleistung bräuchte man ein 800-Volt-System (wie beim Taycan oder beim Lucid Air).

Bei seinem ersten Ladeversuch fand Kyle die Ladekurve okay, er hatte aber den Eindruck, dass die Ladeleistung ab 80 Prozent stark nachlässt. Also: Am besten bis 80 Prozent laden, dann weiterfahren, so unser Testfahrer.

Fazit: Das richtige Auto zum entspannten Cruisen

In nur einer Woche hat Kyle neben dem EQS auch die wichtigsten Konkurrenten gefahren. Sein Fazit: Das Tesla Model S Plaid ist beim Beschleunigen auf gerader Strecke das Auto der Wahl, der Porsche Taycan ist das Auto mit der besten Fahrdynamik, der Lucid Air brilliert mit so etwas wie "minimalistischer Opulenz". Der EQS jedoch ist das beste Gesamtpaket.

Man kann das nicht mit Zahlen belegen, sagt Kyle; auf dem Papier sehen die Konkurrenten oft besser aus. Doch mit keinem anderen Auto fährt man so entspannt und komfortabel, findet der Tester. Nur zwei Punkte gefallen ihm wirklich nicht: das Bremsgefühl und die Außenoptik.